ValueCheck! — Wenn Verleger verlegen machen! | Sorry, Mr. Gutenberg!

ValueCheck! — Sommerfest in Mainz bei VRM.001

 

Eindrücke, Erlebnisse und Erinnerungen von Andreas Weber
(die er gerne per Social Media und v. a. auf Facebook teilt!)

 

Prolog

Mainz, die Gutenberg-Stadt, feiert gerne. so auch letzte Woche am 25. Juli 2014 auf einem tollen Sommerfest. Geladen hat die IHK Rheinhessen und die Handwerkskammer, Gastgeber ist die Verlagsgruppe Rhein Main (VRM), Sponsoren sind die Schott AG und andere. Rundum ein gelungenes Fest, mit Live-Musik, tollem Buffet und der gesamten Mainzer Business-Elite.

Soweit alles OK?
Im Prinzip „ja!“.
Dann aber doch „nein!“.

 

Bei einem Sommerfest mit Sponsoren müssen auch Reden gehalten werden. Und klar, das übernimmt zunächst der Gastgeber VRM durch den Sprecher der Geschäftsführung, Hans Georg Schnücker, der punktgenau seit 10 Jahren im Amt ist. Und einen prima Job gemacht hat: Neues Gebäude, gute Marktposition als Regionalzeitungsgruppe (im Vergleich zu anderen Zeitungsunternehmen). Und doch klagt der Chef und oberste Verleger sein Leid mit der zunehmenden Digitalisierung, die da auf uns einströme. Er erläutert, wie man darauf aus seiner Sicht erfolgreich agiere, indem man seine Online-Angebote per Websites ausbaue, sogar mit der Gründerszene in Mainz angebandelt habe, um neue technische Möglichkeiten zu nutzen und das Online-Engagement weiter zu optimieren. Das Credo lautete wohl: Wenn Print nicht mehr so läuft, dann stellen wir unsere Inhalte halt online. Wird schon klappen. Irgendwie. VRM-Boss Schnücker sagte wörtlich: „Die Digitalisierung ist die größte gesellschaftliche Revolution, wahrscheinlich wichtiger als Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks“.

Und was heisst das? Digitalisierung ist ein technischer Vorgang, keine Gesellschaft-Form oder gar Kulturleistung einer Gesellschaft. US-Amerikaner, allesamt Wirtschaftsführer, wählten Gutenberg zum „Man of the Millennium“. Zum Jahrtausend-Erfinder. Und den werfen wir Mainzer, in seiner Heimatstadt, jetzt über Bord, wegen der (nicht richtig begriffenen) „Digitalisierung“, die eine Revolution auslöst? Uff!

Nichtsdestotrotz: Das alles hörte sich für die Anwesenden plausibel an. Auch dass der Verleger ein wenig verlegen war, weil er scheinbar nicht so ganz durchblickt und abschätzen kann, wie hoch die Digitalisierungs-Welle tatsächlich schwappt, die die Medienlandschaft unter Wasser setzt. Alle Gäste hörten artig zu. Und glaubten dem Redner, was er sagte. Und respektierten, dass wir in einer schwierigen Zeit leben. Des Verlegers Journalisten und Fotografen wuselten umher, um artig „Content“ zu erstellen, der dann, später, in der Zeitung (Print und dann auch online) erscheinen wird. Schließlich sind die Anwesenden ja allesamt wichtige/potenzielle Anzeigen-/Werbe- und Lesekunden.

 

Hoppla: Facebook wird geschmäht! Und Gutenberg über Bord geworfen!

Während sich das abspielte, tummelten sich einige der Gäste auf Facebook und Twitter, um zu teilen, was sie erlebten. Zehntausende Mainzer, die nicht zugegen waren, tummelten sich auch „online“: auf Facebook, Twitter, Instagram etc. Sie nutzen alles intensiv, nur nicht die „digitalen Online-Angebote“ der Verlagsgruppe Rhein-Main. Warum auch, steht ja alles anderntags in der gedruckten Zeitung. Klar, alle Journalisten arbeiten für Print und die VRM-Websites.

Jedenfalls blieb die Facebook-Seite der VRM vom schönen Sommerfest während es stattfand unberührt — und damit auch der Normal-Leser aus Mainz und Rheinhessen, egal ob nun Sommerfest-Besucher oder auch nicht.

Co-Redner Dr. Peter Hanser-Strecker, selbst Verleger, Träger des Grossen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik und Beiratsvorsitzender der VRM, fand auch einen guten Grund, nicht mit den Facebooks, Googles und Co. warm werden zu können. Das seien ja alles Urheberrechtsverletzer. Ganz schlimm. — Und auch ganz paradox. Denn die Ministerpräsidentin Malu Dreyer hatte bei der Ordensverleihung in der Staatskanzlei zu Mainz über Dr. Hanser Strecke gesagt: „Sein Name steht für die ertragreiche Verbindung aus unternehmerischem Pioniergeist, moralischem und sozialem Ethos und kultureller Verantwortung“.

Das wird Präsident Obama auch über Facebook-Gründer Marc Zuckerberg zurecht sagen. Und nun? Wer hat recht? Wiederum: ein klares „sowohl als auch“. Klar hat der Dr. Peter Hanser-Strecker recht, Urheberrechte sind heilig. Aber er bezieht es ja gar nicht auf uns, sondern auf sich, seinen Verlag, seine Autoren. Und die wollen Geld für die Nutzung ihrer Inhalte. Die Bösen, die zudem noch Gutenberg verehren, die machen Inhalte kostenfrei zugänglich… Pfui!

 

 

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Wichtig: Media ist Social!

Und hier schließt sich der Kreis: Der Verleger und die VRM wie auch der genannte VRM-Beiratsvorsitzende sträuben sich gegen die Digitalisierung und ignorieren die Wichtigkeit des „Social“ bei „Media“. Schade, denn Interaktion und Anteilnahme sind in der Social World weit ausgeprägter, als beim Publizieren von Websites und gedruckten Zeitungen, die so gut wie gar nicht auf Interaktion ausgelegt sind. Interaktion ist aber nötig, um Emotionen zu wecken. Alles andere ist Datenvervielfältigung, was nicht besser wird, wenn man statt auf Papier diese auch per Website ausliefert.

Übrigens: Die Verdienste des Gutenbergs liegen weniger im Buchdruck (was auch immer das bedeuten mag; Gutenberg nutzte die Hochdruck-Technik zum Drucken von Büchern, hat dieses altbekannte Verfahren aber nicht erfunden), sondern im Setzen und Drucken mit beweglichen Lettern. Im Zeitalter der vielgeschorenen „Digitalisierung” hätte Gutenberg als smarter Mainzer bestimmt das Publizieren mit beweglichen Daten erfunden (das ja heute sogar bei Drucksachen geht). Ob das die VRM dann lizensiert und nutzbar gemacht hätte? Wer weiss. Wer weiss.

Und, wen interessiert das schon mit dem „ollen Gutenberg“, dem ersten weltweit erfolgreichen Start-up-Unternehmer in Mainz? Den hat es doch weggefegt! Hauptsache das Sommerfest war klasse! Und 1.100 Gäste waren gerne dabei. Ja dann, bis zum nächsten mal. Ciao!

 

Epilog

Wenn man die VRM Verlagsgruppe Rhein Main auf Facebook sucht, taucht als erstes eine von Facebook automatisiert erzeugte Page auf (die sich aus Wikipedia speist). Erst auf den zweiten Blick bemerkt man, das VRM auch selbst eine Page betreibet, allerdings mit sehr wenigen „Besuchern“ (am 29.7.2014, 12:00h waren es nur 514, und nur 434 „Gefällt mir“ Angaben; waren wohl die eigenen Mitarbeiter, oder?). — Und zum Sommerfest ist immer noch nix von VRM gepostet!

Irgendwie ist mir das als Wahl-Mainzer peinlich.
Es macht mich verlegen, obwohl ich gar nicht Verleger sein will…
Sorry, Mr. Gutenberg! We still love and admire you!

 

 

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6 comments
  1. Ulrich Smets said:

    Lieber Herr Andreas Weber,
    grundsätzlich haben Sie recht, die Aussagen des Verlegers in Bezug auf Gutenberg kritisch zu hinterfragen.
    Aber Ihre Aussagen zum fehlenden Facebookauftritt basiert wohl auf einem Missverständnis. Denn die VRM ist mit Ihren “Marken”, also den einzelnen Ausgaben der Zeitungen, doch sehr gut auf Facebook präsent. So können Sie die AZ Mainz unter “Allgemeine Zeitung” https://www.facebook.com/allgemeinezeitung finden – mit 18.284 “gefällt mir”-Klicks” (am 29.07.14 um 16:40)! Und dort finden Sie sehrwohl einen Beitrag zum Sommerfest, und zwar noch direkt am 25.07. Die weiteren Ausgaben der Verlagsgruppe, etwa Wiesbadener Kurier oder Wormser Zeitung, werden Sie sicherlich auch bei Facebook finden. Und das die VRM nicht bevorzugt unter VRM sondern den einzelnen Marken auftritt, ist doch eine nachvollziehbare Geschäftsstrategie.
    Also Ihre Schlussfolgerung basiert in diesem Punkt wohl auf einer Fehlinformation!
    Mit dem besten Grüßen aus Mainz!

    • Hallo Herr Smets,

      der Sprecher der Geschäftsführung stand doch beim Sommerfest vor allen Gästen als Sprecher der VRM-Geschäftsführung. Nicht als Chef der AZ.

      Entsprechend orientiere ich mich daran. Ich kann da gar nichts missverstanden haben. Ich Gegenteil, wenn dann noch in der Gutenberg-Stadt Mainz der gute alte Gutenberg als Episode der Geschichte abgelegt wird, ist mir alles klar. Oder?

      Die Geschäftsstrategie, sich als Mediengruppe hinter Medientiteln zu verstecken, leuchtet mir absolut nicht ein. Übrigens bin ich da auf einer Wellenlänge z.B. mit Hubert Burda, Dr. Mathias Döpfner oder Klaus Kottmeier, dem langjährigen Sprecher der Deutschen Fachpresse und AR-Chef der dfv Mediengruppe. Er hat den dfv gerade vor einigen Monaten in den Fokus gerückt, vor seinen bekannten Fachmedien-Titeln wie TW, LZ oder HORIZONT.

      Es besteht eben ein grundsätzliches Problem, dass Verlagshäuser sich hinter ihren sog., eben nicht allzu sehr als Marke professionell gemanagten Medienmarken verstecken.

      VRM präsentierte sich doch als Initiator und Gastgeber des Sommerfestes, nicht die AZ oder die Wormser Zeitung…
      Oder gar der Wiesbadener Kurier (was in Mainz ja gar nicht ginge 🙂

      Hans-Georg Stolz erzählte als wirklich sachkundiger Experte, AGMA- und OMG-Sprecher vor wenigen Jahren bei einem meiner Symposien, dass das Thema Markenführung und Marktkommunikation qua präziser Marktanalyse als ziemlich unbekannt und fats ungewollt bei grossen, mittleren und keinen Verlagshäusern konstatiert wurde.

      Nevertheless: Schön, dass Ihnen das auffiel, was ich angemerkt habe.

      In jedem Fall hat VRM ein grosses Defizit, zu verstehen, warum es heutzutage geht, wenn Social + Media sich zum Nutzen von Inhalten vereinen. Den Konsumenten, die VRM ja als Leser erhalten möchte, ist dies längst klar. Den Verlegern wohl nicht.

      Danke also nochmals für Ihre Meinung.
      Ich bleibe aber bei keinen Äusserungen.

      Gruss
      Andreas Weber

      • Ulrich Smets said:

        Hallo Herr Weber,

        nun, über Strategien kann man immer geteilter Meinung sein. Welche Markenstrategie für einen Konzern (eine Konzernmarke oder jeder Titel eine eigene Marke) geeignet ist, möchte ich nicht ohne genaue Kenntnisse zum jeweiligen Fall beurteilen. Und Verallgemeinern kann man Strategien schon gar nicht.

        Ich wage es auch, zu bezweifenl, dass Springer als Konzernmarke einen höheren Bekannheitswert hat als die “Bild”. Sicher wissen viele, dass die Bild-Zeitung aus dem Hause Springer kommt, aber ist deswegen die Marke Springer wertvoller? Und das Herr Döpfner hier eine andere Strategie “fährt”, ist ja auch sein gutes Recht. Aber muss dies dann für alle anderen Unternehmen auch gelten?

        Das nicht die Dachmarke im Vordergrund steht, sondern die jeweiligen einzelnen Marken, gibt es auch in anderen Branchen. Wer weiß denn z.B., dass der Hersteller von Milka und Jacobs-Kaffee “Mondelez International” heißt (bis Frühjahr 2013 war das noch Kraft Foods)? Oder dass Knorr und Magnum zu Unilever gehören?

        Und wenn der Sprecher der VRM-Geschäftsführung eine Rede hält, dann doch auch für die einzelnen Teile des Konzerns, oder? Also auch als Chef der AZ und der anderen Ausgaben? Oder würden Sie bei einer Ansprache von Joe Kaeser dies auch so verstehen, dass er nur für den Konzernmantel und nicht für die einzelnen Sparten von Siemens spricht? Das würde aus meiner Sicht nicht passen.

        Ein Konzern besteht nicht nur aus dem Dach, sondern aus allen Einzelteilen zusammen. Daher würde ich, um die Social-Media-Aktivitäten beurteilen zu können, auch alle einzelnen Teile zuammen beurteilen. Als jahrelanger AZ-Leser würde ich bei Facebook daher zuerst nach der AZ suchen und nicht nach der VRM, auch wenn Schnücker als VRM-Sprecher auftritt. Und ich denke, dass es den meisten Lesern/Nutzern genauso auch geht. Deshalb habe ich Ihre Aussagen zu den Facebook-Aktivitäten als unfair empfunden.

        Dass Sie mich nicht falsch verstehen: Ich bin auch der Meinung, dass gerade die regionalen Zeitungshäuser beim Verständnis für die digitalen und “socialen” Medien noch einiges an Nachholbedarf haben. Döpfner ist mit Springer hier ganz klar der Vorreiter. Und Ihrer Kritik an der Aussage Schnückers zu Gutenberg und der Digitalisierung kann ich auch nur zustimmen.

        Mit den besten Grüßen aus Mainz
        Ulrich Smets

        PS: das der Wiesbadener Kurier in Mainz nicht präsent ist, versteht sich von selbst. Dass die Zeitung vom gleichen Verlag herausgegeben wird, ist für Mainzer aber kein Problem, solange der Verlag seinen Sitz in Mainz hat 😉

      • Hello again, Herr Smets,

        eine Strategie funktioniert. Oder halt nicht. Da bleibt kein Platz für geteilte Meinung.

        Die Markenstrategien für Zeitungen (wie auch bei Zeitschriften) unterliegen ganz eigenen Gesetzen; und ordnen sich der Geschäftsstrategie der jeweiligen Mediengruppe unter. Das haben viele Verlage (u.a. auch G+J) schmerzlich erfahren müssen. Und bei Axel Springer AG hat man klugerweise das vor vielen Jahren schon begriffen und sich verbessert. Und steht daher recht gut dar. Auch wenn man gar kein Verlag mehr sein möchte, und/oder lieber Profit mit E-Commerce etc. machen will.

        Zurück zu VRM.

        Ich bleibe dabei: Wenn VRM der Ausrichter eines Top B2B-Events wie beim Sommerfest 2014 ist, muss sich bei VRM auf Facebook auch was abspielen. Sonst kann man den Account gleich wieder dicht machen. — Und der AZ Auftritt auf Facebook besteht mehr oder weniger aus Artikeln, die auch im Print und auf der AZ-Website stehen. So wurde zum Sommerfest 2014 nicht Facebook-gemäß gepostet, sondern der Artikel auf der Website verlinkt. Entsprechend gibt es kaum Gefällt-mir-Angaben oder Kommentare für die einzelnen Posts. Das ist fast schon eine Blamage. Und hat wie gesagt mit Social + Media nix zu tun, da die Interaktion ausbleibt. — Da ändern auch die 18.284 Gefällt-mir-Angaben für die gesamte AZ Seite auf Facebook nix. Im Gegenteil, die sind für eine renommierte Zeitung für eine Region mit hunderttausenden Lesern gerade zu lächerlich wenig.

        — Sprich die Gesamtbeurteilung der einzelnen Teile, die sie vorschlagen,führt zu einem noch tristeren Bild…

        Beste Grüße
        ihr

        Andreas Weber

  2. Ulrich Smets said:

    Hallo Herr Weber,
    gerne würde ich noch weiter mit Ihnen diskutieren – mir fallen noch einige Argumente und Aspekte ein – aber mir fehlt leider die Zeit. Schließlich beansprucht so ein Kommentar, wenn er fundiert und niveauhaltig sein soll, deutlich mehr Zeit als nur drei Minuten. Und da gebe ich meinen laufenden Projekten eine höhere Priorität. Aus diesem Grund komme ich auch jetzt erst zu dieser Antwort, obwohl ich seit einer Woche eigentlich mit Argumenten kontern wollte. Ich hoffe, dass Sie dafür Verständnis haben.
    Mit dee beste Meenzer Grüß’ in die Meenzer Sietie 😉
    Ulrich Smets

    • Kein Problem. Oder wie James Bond sagt: First Things First! –Das Thema und die notwendige Diskussion darüber läuft auch nicht so rasch davon..

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