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Value Check FDI Fachabend 09092014.001

 

Zu Gast bei Friedrich Roeingh, Chefredakteur der Mainzer Allgemeinen Zeitung. 

Von Andreas Weber

Er macht seine Sache sehr smart, kompetent und souverän. Und man spürt, dass er ein exzellentes Gespür für Journalismus, Stories und Leser hat. Und er sieht ziemlich klar: Das, was war, wird so nicht bleiben können. “Ich bin sicher, dass es auch in 20 Jahren noch eine Zeitung auf Papier geben wird”, stellt Friedrich Roeingh am 9. September vor FDI-Fachbesuchern im Druckzentrum der Allgemeinen Zeitung fest. Nur eben nicht mehr in der bisherigen Form. Und als Papierausgabe mit wesentlich reduzierter Auflage. Überhaupt: Im Deutschen bedeute Zeitung Neuigkeit. Nur im angloamerikanischen Raum werde Zeitung durch das Wort “Newspaper” stets mit Papier in Verbindung gebracht. Hoppla: Abschied vom Papier? Gerade die Zeitungsverleger haben dereinst ihr Verständnis von Zeitung immer mit “gedruckt auf Papier, weil dann glaubwürdiger etc.” in Verbindung gebracht.

Apropos Neuigkeit: Gleichzeitig zum Vortrag von Friedrich Roeingh präsentierte in Cupertino Apple CEO Tim Cook wie immer perfekt inszeniert Top-Neuheiten zum Digital Lifestyle! Inkl. iPhone 6,  Apple Watch und Apple Pay.

Und wie ist der Stand der Dinge beim Papier-Bedrucken-Geschäft? Klar, man hat eine supermoderne Druckfabrik. Ein Imagefilm, den Roeingh vorführt, zeigt artig und hübsch, was alle schon kennen. Fakt ist aber, wie er berichtet, auch: Die ungebrochene Reichweitenstärke der bis dato sehr gesunden und vitalen Regionalzeitungsgruppe lässt alle Medien-Wettbewerber hinter sich. Radio wie auch Fernsehen. Und andere Zeitungstitel sowieso. “Die Zeitung ist für mich ein soziales Medium”, führt der Chefredakteur weiter aus. Und kann dies belegen: Durch exklusive Stärken wie die Themenvielfalt, die Heterogenität der Leserschaft, das Widerspiegeln dessen, was in unmittelbarer Umgebung geschieht sowie die Nutzungsintensität (25 Minuten pro Tag). Allerdings: Die Werbeeinnahmen sind im flinken Sinkflug, die Zahl der Kioskverkäufe und Abos ebenfalls. Es teilen sich aber immer mehr Leser dasselbe  Zeitungsexpemlar. Fast drei pro Ausgabe. Daher bleibt die Reichweite stabil (mit derzeit über 500.000 Lesern).

Rettungsanker? — Digitalangebote der Verlage

Der Markt schätzt also die Leistung der Zeitung, will diese aber nicht mehr adäquat honorieren. Nicht nur dass junge Leser fehlen (das war wohl früher auch schon mal so), die wichtige Gruppe der 30 bis 45 jährigen bereitet Probleme. — Soweit alles nichts neues, weil Branchenszenario. Ausser, dass die AZ bis dato noch recht gut dasteht. Die Frage ist dennoch: Was tun? Sehr offen und frei sagt Roeingh, dass wohl niemand im Moment wissen kann, wohin die Reise geht. Er besinnt sich darum auf die alten Stärken und Urtugenden des Redakteurs und Journalisten. Gute und relevante Stories liefern, die Hintergründe beleuchten, aktuelles Kommentieren und durchaus auch Neues aufspüren. Allerdings muss er auch zugeben: Mit den Internetgiganten wie Facebook, Google und auch Twitter kann er sich nicht messen. Aber man habe einen Weg gefunden, diese Plattformen für sich zu nutzen. Zum einen gibt es Online-, App-, E-Paper-Angebote und zum anderen eine Facebook-Page sowie einen Twitter-Account der AZ.

Gerade Facebook und Twitter seien wichtig. Twitter nutze man wie andere Medienhäuser auch, um eigene News blitzschnell zu verbreiten, damit sie von anderen aufgegriffen und im Netz kolportiert werden. Wobei man nicht wissen und bewerten könne, wer von den Nutzern der sog. Digitalangebote der AZ auch ein Printleser sei. In seinem Metier, so Roeingh, wären für das Messen und die Erfolgskontrolle ohnehin die Marktforscher wie die von der GfK zuständig. Sprich: Die Zeitung pusht Inhalte, führt aber keine Dialoge mit den Lesern. Deren Verhalten müssen Dritte bewerten.

Das heisst: Er und seine Redakteure können alle Kanäle bespielen, in Wort, Bild und auch Film. Zudem entwickelt man eine Reihe neuer Print-Titel in Form von Spezialpublikationen für Studenten, Kinder, die Wirtschaft etc. Man habe auch einen innovativen Ansatz entwickelt, wie Print- und Digitalangebote verknüpft, also in Bundles vermarktet werden kann. Ob Bezahlinhalte aber funktionieren, stehe in den Sternen. Wie das ökonomisch rentabel von statten gehen soll, müssen die (noch zu entwickelnden) neuen Geschäftsmodelle zeigen. Da sind also die Verleger und Marketing-Strategen gefragt. Die zumindest im Falle der AZ und der Verlagsgruppe Rhein-Main einen guten Job machen und auch von Kooperationen viel verstehen. Nur: Die zündende Idee, der richtige Innavtionsansatz der Geschäftsmodelle ist längst noch nicht gefunden.

Unsere Meinung:

Friedrich Roeingh hat eine klare Linie, weiss was er tut und steht 1000-prozentig hinter seinem aufrechten Verständnis von Journalismus. Er leidet aber sichtbar darunter, dass viele Einflussgrößen auftreten, die er (wie auch die ganze Verlagsgruppe) nicht mehr beeinflussen können. Irgendwie werden die Weichen andernorts gestellt. Mann muss sich dann halt arrangieren.

Ein Manko schient aber deutlich: Online-Sites wie auch Social Media Plattformen werden fälschlicherweise als alternative Kanäle zu Print gesehen, die man intensiver nutzen muss, indem man Daten, die man schon für Print hat, angereichert oder variiert ausliefern muss. Aber sowohl Werbung als auch Journalismus sehen dort ganz anders aus. Denn Social Media wirft die Frage auf: Was passiert in einer Kommunikations-Welt, in der der Empfänger zugleich der Sender ist? In der der Empfänger selbst bestimmt, wann er/sie und welche Inhalte er wie nutzt? Klingt ungewohnt, ist aber so an der Tagesordnung bei “Social”. Das kann man aber nur nachvollziehen, wenn man sich dort auch intensiv tummelt und eine eigene digitale Kompetenz aufbaut. Und die fehlt. scheinbar. Wenn man die AZ Facebook-Seite und vor allem den AZ Twitter-Account anschaut, wird einem schon ein bisschen schwummrig. Beides wirkt nicht nur ziemlich altbacken, lieblos oder dilettantisch, sondern überhaupt nicht konform mit dem wofür “Social” heute steht: Hohe Interaktion, beste Dialoge mit Nutzern, immer am Ball, Nutzer einbeziehendes, smartes Storytelling in Kurzform, etc. All das ist nicht erkennbar.

Hinzukommt: Es fehlt wohl in der Vermarktung der Zeitung an Leuten, die der Leidenschaft des Journalisten die Leidenschaft für den Mehrwert bei Angeboten für die Kunden in Vertrieb und bei Werbung zur Seite stellt. Und es fehlt an Angeboten, die für Media-Planer relevant und attraktiv sind. Die können mit Reichweite alleine kaum etwas anfangen. Kunden wollen Targeting, Precision Marketing und so weiter. Crossmediale Bundles werden da also nichts bringen. Und ein Blick über den Tellerrand könnte nicht schaden. Denn entweder man kehrt Print den Rücken und steigt wie Axel Springer massiv in E-Commerce und IT-Services ein. Oder man macht Print wieder innovativ und verknüpft es kundenfreundlich mit der Social Media Welt. Dazwischen gibt es nichts. Ausser Siechtum und stetem Status-quo-Retten. Denn es braucht schon mehr als neue Luft in alten Fahrradschläuchen, um das Jahr 2020 auf sicherem Weg in angemessenem Tempo zu erreichen.

Das Dilemma, das am Beispiel der AZ sichtbar wird: Mangelnde Dialog- und Interaktionsbereitschaft mit dem Leser/Kunden trotz eigener Medienplattformen ist im Social-Media-Zeitalter heikel bis gefährlich; und lässt kaum die Erweiterung der Stammgeschäfte und vor allem kein profitables Wachstum im Stammgeschäft zu. Dabei wäre dies problemlos mögliche (siehe unsere Analyse).

Insofern freue ich mich, wenn wir am 7. Oktober 2014 das Thema Zukunft Zeitung beim nächsten Mainzer FDI-Fachabend in unserem Value Office vertiefend diskutieren. Vielleicht hat Chefredakteur Friedrich Roeingh Zeit, und kommt auch. Ich würde mich freuen.

 

 

 

ValueCheck! — Sommerfest in Mainz bei VRM.001

 

Eindrücke, Erlebnisse und Erinnerungen von Andreas Weber
(die er gerne per Social Media und v. a. auf Facebook teilt!)

 

Prolog

Mainz, die Gutenberg-Stadt, feiert gerne. so auch letzte Woche am 25. Juli 2014 auf einem tollen Sommerfest. Geladen hat die IHK Rheinhessen und die Handwerkskammer, Gastgeber ist die Verlagsgruppe Rhein Main (VRM), Sponsoren sind die Schott AG und andere. Rundum ein gelungenes Fest, mit Live-Musik, tollem Buffet und der gesamten Mainzer Business-Elite.

Soweit alles OK?
Im Prinzip „ja!“.
Dann aber doch „nein!“.

 

Bei einem Sommerfest mit Sponsoren müssen auch Reden gehalten werden. Und klar, das übernimmt zunächst der Gastgeber VRM durch den Sprecher der Geschäftsführung, Hans Georg Schnücker, der punktgenau seit 10 Jahren im Amt ist. Und einen prima Job gemacht hat: Neues Gebäude, gute Marktposition als Regionalzeitungsgruppe (im Vergleich zu anderen Zeitungsunternehmen). Und doch klagt der Chef und oberste Verleger sein Leid mit der zunehmenden Digitalisierung, die da auf uns einströme. Er erläutert, wie man darauf aus seiner Sicht erfolgreich agiere, indem man seine Online-Angebote per Websites ausbaue, sogar mit der Gründerszene in Mainz angebandelt habe, um neue technische Möglichkeiten zu nutzen und das Online-Engagement weiter zu optimieren. Das Credo lautete wohl: Wenn Print nicht mehr so läuft, dann stellen wir unsere Inhalte halt online. Wird schon klappen. Irgendwie. VRM-Boss Schnücker sagte wörtlich: „Die Digitalisierung ist die größte gesellschaftliche Revolution, wahrscheinlich wichtiger als Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks“.

Und was heisst das? Digitalisierung ist ein technischer Vorgang, keine Gesellschaft-Form oder gar Kulturleistung einer Gesellschaft. US-Amerikaner, allesamt Wirtschaftsführer, wählten Gutenberg zum „Man of the Millennium“. Zum Jahrtausend-Erfinder. Und den werfen wir Mainzer, in seiner Heimatstadt, jetzt über Bord, wegen der (nicht richtig begriffenen) „Digitalisierung“, die eine Revolution auslöst? Uff!

Nichtsdestotrotz: Das alles hörte sich für die Anwesenden plausibel an. Auch dass der Verleger ein wenig verlegen war, weil er scheinbar nicht so ganz durchblickt und abschätzen kann, wie hoch die Digitalisierungs-Welle tatsächlich schwappt, die die Medienlandschaft unter Wasser setzt. Alle Gäste hörten artig zu. Und glaubten dem Redner, was er sagte. Und respektierten, dass wir in einer schwierigen Zeit leben. Des Verlegers Journalisten und Fotografen wuselten umher, um artig „Content“ zu erstellen, der dann, später, in der Zeitung (Print und dann auch online) erscheinen wird. Schließlich sind die Anwesenden ja allesamt wichtige/potenzielle Anzeigen-/Werbe- und Lesekunden.

 

Hoppla: Facebook wird geschmäht! Und Gutenberg über Bord geworfen!

Während sich das abspielte, tummelten sich einige der Gäste auf Facebook und Twitter, um zu teilen, was sie erlebten. Zehntausende Mainzer, die nicht zugegen waren, tummelten sich auch „online“: auf Facebook, Twitter, Instagram etc. Sie nutzen alles intensiv, nur nicht die „digitalen Online-Angebote“ der Verlagsgruppe Rhein-Main. Warum auch, steht ja alles anderntags in der gedruckten Zeitung. Klar, alle Journalisten arbeiten für Print und die VRM-Websites.

Jedenfalls blieb die Facebook-Seite der VRM vom schönen Sommerfest während es stattfand unberührt — und damit auch der Normal-Leser aus Mainz und Rheinhessen, egal ob nun Sommerfest-Besucher oder auch nicht.

Co-Redner Dr. Peter Hanser-Strecker, selbst Verleger, Träger des Grossen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik und Beiratsvorsitzender der VRM, fand auch einen guten Grund, nicht mit den Facebooks, Googles und Co. warm werden zu können. Das seien ja alles Urheberrechtsverletzer. Ganz schlimm. — Und auch ganz paradox. Denn die Ministerpräsidentin Malu Dreyer hatte bei der Ordensverleihung in der Staatskanzlei zu Mainz über Dr. Hanser Strecke gesagt: „Sein Name steht für die ertragreiche Verbindung aus unternehmerischem Pioniergeist, moralischem und sozialem Ethos und kultureller Verantwortung“.

Das wird Präsident Obama auch über Facebook-Gründer Marc Zuckerberg zurecht sagen. Und nun? Wer hat recht? Wiederum: ein klares „sowohl als auch“. Klar hat der Dr. Peter Hanser-Strecker recht, Urheberrechte sind heilig. Aber er bezieht es ja gar nicht auf uns, sondern auf sich, seinen Verlag, seine Autoren. Und die wollen Geld für die Nutzung ihrer Inhalte. Die Bösen, die zudem noch Gutenberg verehren, die machen Inhalte kostenfrei zugänglich… Pfui!

 

 

Value Key Visual Gutenberg Statue Colored.001

 

Wichtig: Media ist Social!

Und hier schließt sich der Kreis: Der Verleger und die VRM wie auch der genannte VRM-Beiratsvorsitzende sträuben sich gegen die Digitalisierung und ignorieren die Wichtigkeit des „Social“ bei „Media“. Schade, denn Interaktion und Anteilnahme sind in der Social World weit ausgeprägter, als beim Publizieren von Websites und gedruckten Zeitungen, die so gut wie gar nicht auf Interaktion ausgelegt sind. Interaktion ist aber nötig, um Emotionen zu wecken. Alles andere ist Datenvervielfältigung, was nicht besser wird, wenn man statt auf Papier diese auch per Website ausliefert.

Übrigens: Die Verdienste des Gutenbergs liegen weniger im Buchdruck (was auch immer das bedeuten mag; Gutenberg nutzte die Hochdruck-Technik zum Drucken von Büchern, hat dieses altbekannte Verfahren aber nicht erfunden), sondern im Setzen und Drucken mit beweglichen Lettern. Im Zeitalter der vielgeschorenen „Digitalisierung” hätte Gutenberg als smarter Mainzer bestimmt das Publizieren mit beweglichen Daten erfunden (das ja heute sogar bei Drucksachen geht). Ob das die VRM dann lizensiert und nutzbar gemacht hätte? Wer weiss. Wer weiss.

Und, wen interessiert das schon mit dem „ollen Gutenberg“, dem ersten weltweit erfolgreichen Start-up-Unternehmer in Mainz? Den hat es doch weggefegt! Hauptsache das Sommerfest war klasse! Und 1.100 Gäste waren gerne dabei. Ja dann, bis zum nächsten mal. Ciao!

 

Epilog

Wenn man die VRM Verlagsgruppe Rhein Main auf Facebook sucht, taucht als erstes eine von Facebook automatisiert erzeugte Page auf (die sich aus Wikipedia speist). Erst auf den zweiten Blick bemerkt man, das VRM auch selbst eine Page betreibet, allerdings mit sehr wenigen „Besuchern“ (am 29.7.2014, 12:00h waren es nur 514, und nur 434 „Gefällt mir“ Angaben; waren wohl die eigenen Mitarbeiter, oder?). — Und zum Sommerfest ist immer noch nix von VRM gepostet!

Irgendwie ist mir das als Wahl-Mainzer peinlich.
Es macht mich verlegen, obwohl ich gar nicht Verleger sein will…
Sorry, Mr. Gutenberg! We still love and admire you!

 

 

Value Key Visual Gutenberg Illu Lidia Colored.001

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