Kunst zu(m) Sterben – Eröffnungsrede 2
Foto: Dr. Ying Lin-Sill, Mainz
Eröffnungsansprache am 26. September von Andreas Weber,
Kurator der Ausstellung “Kunst zu(m) Sterben” in der Rathausgalerie, Mainz.
Kunst zu(m) Sterben. — Warum dieser Titel? — Warum die Klammer um das kleine „m“?
Kunst hat die Aufgabe, zu vermitteln.
Kunst steht für sinnstiftende Wahrhaftigkeit.
Kunst ist Kommunikation, gerade für Themenbereiche, die allzu gerne ausgeklammert, tabuisiert, ignoriert werden.
Kunst ist das Universum der Künstler, also der Kunstschaffenden, ebenso wie das der Kunstliebhaber.
Kunst entwickelt unsere Kultur weiter, pflegt den Umgang miteinander und den Umgang mit unserem Leben in all seinen Facetten.
Sterben bezeichnet den Übergang vom Leben zum Tod.
Beides, Kunst und Sterben, sind zentrale Bestandteile menschlichen Daseins.
Das Ziel des Daseins beschreibt Friedrich Hölderlin im Fragment „Hyperion“ wie folgt:
„Eines zu seyn mit Allem, was lebt!
Eines zu seyn mit Allem,
das ist Leben der Gottheit,
das ist der Himmel des Menschen.“
An anderer Stelle heisst es im Hyperion weiter:
„Wir bedauern die Toten, als fühlten sie den Tod, und die Toten haben doch Frieden.“
Der Tod ist rational und absolut begreifbar; er schafft Fakten. Punktum. Wir haben gelernt und Rituale entwickelt, um mit dem Tod umgehen zu können. — Das Sterben hingegen ist zwangsläufig, heterogen, unvorhersehbar und rational wie emotional nicht steuerbar. Sterben berührt die Lebenden.
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Warum steht beim Ausstellungstitel das kleine „m“ in Klammern?
Es führt unser Vorhaben in dieser Ausstellung weit hinaus über die seit Jahrhunderten in den Religionen begründete Vorbereitung auf den Tod. Spätmittelalterliche lehrhafte Erbauungsschriften titulierten als Ars Moriendi oder Ars Bene Moriendi; sie waren gesetzt als Kontrapunkt zur „Ars Vivendi“.
Doch solche „Moral Subjects“ pass(t)en ins Mittelalter, aber nicht mehr in die Neuzeit, die uns Sicherheit, müheloses Altwerden, ewige Jugendlichkeit vorgaukelt. Fast wird uns sogar noch die Unsterblichkeit in Aussicht gestellt.
Die Botschaft der in der Mainzer Rathausgalerie von Valy Wahl bereits genannten und mit ihren Werken versammelten Künstler ist eine weiterführende.
Es war uns als „Kuratoren“ (welche schönes Wort, heisst es doch „Pfleger“, „Vertreter“, abgeleitet vom lateinischen „curare: Sorge Tragen, sorgen um…“, weil es zu den Aufgaben des Palliativnetzwerks passt,), es war und ist uns wichtig, eine Brücke zu schlagen zwischen künstlerischen Werken und ihren Botschaften für uns alle, die wir Leben und zwangsläufig dem Sterben entgegensehen.
Die Aufgabenstellung für die teilnehmenden Künstler aus den Bereichen Malerei, Grafik, BuchObjektKunst, Skulptur, Fotografie/Grafik, Tanz und Performance sowie im Rahmenprogramm auch Musik, Literatur und Kabarett lässt sich wie folgt beschreiben:
Welche Einsichten vermitteln Künstler aus allen relevanten Kunstgattungen auf drei zentrale Fragen zum Thema
- Leben: Warum und wo kommt es her, wie schätze ich es zu leben? Wie lebe ich mit dem Bewusstsein des Vergänglichen, um in Würde aus dem Leben treten, also sterben zu können?
- Sterben und die Angst davor… — Tatsache ist: Ich werde sterben. Wie sterbe ich, wie und wann setze ich mich mit dem Thema Sterben auseinander?
- Helfen — Hilfe: Brauche ich Hilfe bzw. wenn ich Hilfe in Anspruch nehme, wie wird mir geholfen?
Ein Spezialthema steht noch offen, und würde hier den Rahmen sprengen:
Welche Konzepte und Realisationen für Räume zum Sterben bietet die Architektur für Hospize und Palliativ-Stationen in Krankenhäusern etc.
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Meine Damen und Herren, Sie sehen, die Komplexität des Themas „Kunst zu(m) Sterben“ ist weit höher, als man erwartet. Bei unseren Vorbereitungsarbeiten haben Valy Wahl und ich noch weitere, tief gehende Aspekte entdecken können: Durch die eingeladenen Künstler und ihre Wertvorstellungen von Leben und Sterben, die in ihren Arbeiten Ausdruck finden.
Elfie Clement lässt uns per Video-Installation an höchst intimen und subtilen Erfahrungen teilnehmen, die sie innerhalb von 7 Tagen am Sterbebett der Mutter machte. Sprachlos und umgeben von Stille zeichnete sie zu unterschiedlichen Tageszeiten immer wieder Gesicht, Mimik, Leid und Erlösung der Sterbenden. Die feine Strichführung vibriert mitunter. Eindrücklicher kann der Übergang vom Leben zum Tod kaum erfassbar sein.
Wolfhard Tannhäuser hatte zu seinem Bild „Pendel“ ein männliches Modell gewählt, das zum Zeitpunkt des Malens vom Tod gekennzeichnet war, ohne dies zu wissen, und kurz nach Fertigstellung des Gemäldes verstarb. Diesem Momentum des Zufälligen stellt Wolfhard Tannhäuser die normative Kraft des Faktischen zur Seite. In „War Memorial — I believe in Syria“ dokumentiert er persönliche Eindrücke aus Damaskus, kurz vor Ausbruch des Bürgerkrieges: Ein riesiges Wandplakat zeigt den syrischen Präsidenten mit froher Botschaft! Im Zuge der kriegerischen Ereignisse kommen als schmale hohe Streifen mit fetzenartigen Motiven, Todesanzeigen hinzu, wie sie unter syrischen Christen üblich sind, um das Sterben und den Tod von Angehörigen zu betrauern.
Fee Fleck, die lebenslang gegen das Vergessen oder besser: gegen das in Vergessenheit geraten, eintritt, reduziert in plakativ-eindrucksvoller Art und Weise unser Dasein auf den Ausgang: „La Morte“ entstand im Rahmen ihrer Zyklen und Arbeiten zu Ingeborg Bachmann, deren literarisches Schaffen Fee Fleck als von Liebe, Sehnsucht und Tod geprägt sieht. Insofern trifft flächige Malerei auf kalligrafische Elemente. Der Schriftzug La Morte tritt Relief-artig hervor. Morte bedeutet sowohl Tod als auch Abgang. Die Farbsymbolik von Weiß kann Licht, Reinheit, Weisheit bedeuten; in asiatischen Kulturen steht Weiß auch oft für Tod!
Ulrich Heemann bezieht sich mit der inszenierten Fotografie „Selbst“ unmittelbar in sein Werk ein. Die Darstellung kann höchst subjektiv ausgelegt werden. Als Momentaufnahme, hier, im Jetzt und Sein. Oder als Aufbruch in eine neue Welt, die über das Leben hinausgeht.
Fast stoisch fasst der in Mainz geborene und in Berlin lebende Künstler Stör, übrigens der Jüngste in der Riege unserer Künstler, das Thema Sterben auf. In dem eigens für unsere Ausstellung angelegten Werk „Entzweit“, eine überdimensioniert angelegte Malerei mit Aquarell und Acryl, entdecken wir eine lang hingestreckte, leidende, zerschundene, magere Kreatur. Das Bunte des Lebens ist dahin, ebenso wie Proportionen und Verhältnismäßigkeiten. In seiner Stille berührt es die Skizzen-Arbeiten von Elfie Clement auf sonderbare, denkwürdige Art und Weise.
Und vor allem, es führt zur Bildhauerarbeit von Achim Ribbeck, „Unter den Weiden“, gefertigt aus Ulmenholz, teilweise mit Acryl bemalt. Wir sehen einen Nachen – wie wir ihn aus der Antike kennen, den Charon steuert, um den Styx auf dem Weg zum Hades zu überqueren. In den Nachen ist eine menschliche Figur eingezwängt ist, geradeso wie Shakespeares Ophelia aus Hamlet. Ophelia leitet sich als Name vom griechischen Wort für „Hilfe“ ab. Im Hamlet wird sie als Holdselige über den vermeintlichen Wahnsinn des Geliebten und den Tod des Vaters selbst wahnsinnig und ertrinkt, treibend in einem Bach… Im Werk von Achim Ribbeck finden übrigens Boot und Mensch einen deutlichen Niederschlag (was die Auswahl für die Ausstellung nicht einfacher machte…). Stets bleibt offen, ob das Boot der Rettungspunkt oder Ausgangspunkt für Verderben und Tod ist.
Ihre Eindrücke im Hier und Jetzt mit dem Blick zurück nach vorne teilt auch die aus China stammende Künstlerin und Kunstwissenschaftlerin Dr. Ying Lin-Sill mit uns. Im Rahmen einer ganzen Reihe von Mainz-Motiven aus den letzten drei Jahren entstand im Sommer 2013 – mit Blick auf unsere Ausstellung – das Gemälde „Ying‘s Nightmare“, zu deutsch „Yings Albtraum“. Am Beispiel der szenisch überhöhten Darstellung des großen Mauerwerks zu Füssen der Mainzer Kupferberg-Terrasse mit den Rundfenstern, die als Gitter den Davidstern aufweisen, wird uns subtil gezeigt, wie bei uns mit dem Holocaust umgegangen wurde. Der zu Pferd sitzende Heilige Martin wendet sich ab, das infernalische Leid und gewaltsame Sterben unzähliger Menschen nimmt seinen Lauf. — Am Rande sei darauf hingewiesen, dass kaum einer von uns Mainzern je bemerkt hat, wie die Fensteröffnungen am Mauerwerk vergittert sind!
Siehe die Videoanimation auf YouTube:
Valy Wahl setzt, wie sie selbst sagt, darauf, Hoffnung oder Verwirrung zu stiften. „Der Gesang der Frösche“, meisterlich in Valy‘s ureigener Lack-Druckfarben-Malerei als Viertafelbild angelegt, inszeniert die eigentlich friedvollen Frösche als wahre Monster. Unser Dasein ist nicht nur von Schönheit und Liebe geprägt, sondern auch von Leid, Schrecken und Gewalt. Leben und Tod sind Partner, die durch das Sterben einen Bund eingehen. Übrigens: In fasst allen Weltkulturen spielt der Frosch eine Rolle. Er symbolisiert Fruchtbarkeit und Erotik sowie auf spiritueller Ebene die Verwandlung.
Kunst zu(m) Sterben wird zur Metamorphose, die eine Transformation unserer Existenz von der einen Welt in eine andere beschreibt.
Diese Metamorphose, dieser Übergang wir auch durch die ausgestellten Werke des Schweizer Bildhauers Pi Ledergerber erfahrbar. 1994, also vor fast zwanzig Jahren, startete er ein Experiment. Wochenlang lebte er in Finnland, in einem Seengebiet, abseits jeglicher Zivilisation in einer Blockhütte mit Saune, See und Ruderboot. Kein Mensch weit und breit, was durchaus bedrückte und ängstlich machte. Pi Ledergerber sammelte besondere Steine, jene Findlinge, die aus der Natur kommen. Er bearbeitete sie als Bildhauer und legte sie in die Natur zurück. Wir freuen uns, einige der Findlinge, die er mitbrachte, auszustellen, sowie Fotos aus dem Ursprungsjahr, die er vor Ort aufgenommen hat. — Das Leben kommt aus der Natur und geht in die Natur zurück, so seine Botschaft.
„Natur“ ist auch das Thema eines vollendet gestalteten Kassettenwerks von Hermann Rapp, das in der Hochvitrine ausgestellt ist. Seine BuchObjektKunst greift literarisch hochstehende Texte auf, in diesem Fall das Goethe zugeschriebene, von Tobler verlegte Fragment Natur, illustriert und kommentiert sie, setzt druckt sie vollendet in alter Manier. Das Textfragment beginnt wie folgt. „Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen – unvermögend aus ihr herauszutreten, und unvermögend tiefer in sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen.“ –– Hermann Rapp setzte auf die Mitwirkung der Kunstwissenschaftlerin Ursula Weber, die Goethes Text und Hermann Rapps Werk in den Kontext grosser künstlerischer Leistungen stellt.
Ursula Weber, meiner Mutter, widmete Hermann Rapp das eigens für unsere Ausstellung geschaffene Werk „Adieu Ursula – Auf den Tod einer Freundin“. — Quasi mitten in den Vorbereitungen der Ausstellung „Kunst zu(m) Sterben“ trat für mich und uns der Ernstfall ein. Meine Mutter starb überraschend am Spätnachmittag des 7. August 2013, gerade an dem Tag, als Valy Wahl und ich zwei unserer Künstler in deren Ateliers in Rheinhessen besuchten, um die letzten Exponate auszuwählen.
Hermann Rapp nahm Ursula Webers Tod und ihre Besetzung per Baumbestattung auf dem Gonsenheimer Waldfriedhof zum Anlass, per hochformatiger Druckgrafiken die Trauergesellschaft zu skizzieren. Fast archaisch, von Betroffenheit und Demut erfasst, wird der Abschied aus der Welt und der Einzug in die Natur für uns alle erfahrbar. –– Beigefügt ist den kostbaren Druckgrafiken ein Sonett von Michelangelo, ins Deutsche übersetzt von Rainer Maria Rilke sowie Anmerkungen von Hermann Rapp zum Werk für die verstorbene Freundin. –– Die Anfangsverse des Sonetts lauten:
Des Todes sicher, nicht der Stunde, wann,
Das Leben kurz, und wenig komm ich weiter.
Den Sinnen zwar scheint diese Wohnung heiter,
der Seele nicht, sie bittet mich: “stirb an.”
Aber lesen sie selbst. Wie sie auch bitte sich selbst ein Bild von den Exponaten der Künstler machen. Fassen sie bitte die Ausstellung nicht einfach nur als Kunstausstellung auf. Sondern als Appell, sich mit dem zentralen Thema unseres Daseins, dem Sterben, aktiv und konstruktiv auseinanderzusetzen. Und nutzen Sie die Kunst und die Botschaften der Künstler als Ratgeber, zur Orientierung und Lebenshilfe. Ebenso und im Kontext mit den vielen engagierten Fachkräften des Palliativnetzwerk Mainz, denen ich danken möchte, die Initiative für dieses Projekt ergriffen und unser Projekt hier im Mainzer Rathaus, unterstützt vom Kulturamt, möglich gemacht zu haben.
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Epilog
Wir haben im Vorfeld mit vielen hundert Menschen über die Ausstellung und ihr Thema reden, diskutieren und per Facebook und Twitter kommunizieren können. Das ist einmalig. Und wir werden den Verlauf der Ausstellung dokumentieren (lassen Sie sich überraschen!), ebenso wie von der Finissage am 6. November 2013, um 18 Uhr. Dann wird als Schlusspunkt Peter Grosz mit Ensemble die Theater-Aufführung „Zeiten alter aus“ darbieten. Sie sind alle herzlich eingeladen.
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Video-Mitschnitt der Rede von Andreas Weber
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Spannendes Ausstellungs-Thema. Gute Resonanz. Es wird noch viel passieren bis zur Finissage an 6. November 2013.
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