Worauf wir stehen …

RLP Landtagsvizepräsidentin Astrid Schmitt (2.v.l.) mit Andreas Weber und dem Künstler-Duo Verena Reinmann und Christian Reinmann (rechts)
Vortrag von Andreas Weber
im Abgeordnetenhaus des Landtags von Rheinland-Pfalz
Reinmann & Reinmann — Das raffinierte Urgestein der rheinland-pfälzischen Kunst- und Kulturszene
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frau Vizepräsidentin Astrid Schmitt, liebes Künstler-Duo Verena Reinmann und Christian Reinmann!
„Worauf wir stehen …“ impliziert zunächst, dass wir den Blick bewusst zum Boden führen. Oder aber, dass wir intuitiv die Augen schließen, um den Untergrund zu erspüren. Beides dient der Orientierung und Standpunkt-Bestimmung.
Und beides kreiert dieses besondere Spannungsfeld zwischen Erkenntnis durch den Intellekt und das instinktive Fühlen, das sich heute durch diese Ausstellung für uns in einzigartiger Weise darstellt.
Ministerpräsidentin Malu Dreyer äußerte zum Jubiläumsfest des Bundeslandes Rheinland-Pfalz am 18. Mai 2022: „Die Vielfalt der Menschen und Regionen ist der Schatz unseres Landes.“ Menschen prägen eine Region, nachdem zuvor Regionen Menschen geprägt hatten. Mit dem römischen Erbe in Trier und Mainz erhielten wir hierzulande eine großartige Mitgift auf dem Weg in die kulturelle Entwicklung unserer Region. Rheinland-Pfalz war ein Schmelztiegel der Kulturen – gestaltet von Menschen aus vielen Ländern.
Vielfalt ermöglicht oder besser bedingt Perspektivwechsel, so die Botschaft von Reinmann & Reinmann durch die hier ausgestellten Werke.
Unser gemeinsamer Freund, der Kunsthistoriker Dr. Otto Martin, über Jahrzehnte in Mainz aktiv, vor allem mit dem Kunstverein Eisenturm, hat sich mit der Reinmann’schen Kunst intensiv auseinander gesetzt. Und führt an: „Für mich sind (diese) Arbeiten eine Hommage an die Natur – nicht auf direktem Wege, nein – in abstrakten Kompositionen, die an Archetypen der Landschaft erinnern, es baut sich etwas Auratisches zum Topos Landschaft auf, etwas Immerwährendes in innerer Stimmigkeit des Kunstwerks – etwas, das an die gute alte Harmonie im Kunstwerk denken lässt, nicht zuletzt auch formal unterstützt durch die Ausgewogenheit des oft gewählten Quadrates als Bildformat – diese können dadurch wie Module eingesetzt werden und ungeahnte Mobilität in Serien entfalten: zum ewig-kreativen Spiel!“ (Quelle: Vortrag vom Oktober 2014 zur Ausstellung Christian Reinmann „Spiegel der Erinnerung“ in der Mainzer Akademie der Wissenschaft und der Literatur, nachzulesen auf der Website von Christian Reinmann).
Und in der Tat, die Aura der hier versammelten Bildwerke und der noch in den Ateliers des Künstler-Duos versammelten Schätze hat mich sofort gepackt. Warum? Ich bin in der Pfalz großgeworden und 1978 nach Mainz umgesiedelt (wohl ungefähr zu der Zeit, als Verena Reinmann und Christian Reinmann ihr schönes Haus in Bodenheim bezogen haben). Das heisst, vom Kleinkind-Alter an, habe ich zunächst auf allen Vieren und später durch aufrechten Gang die Regionen, die Landschaften, die Natur erkundet. Teil meines Grundschul-Unterrichts in Kaiserslautern war, auf dem Feld bei der Kartoffelernte zu helfen. Noch heute ist mir das sinnhaft im Bewusstsein. Der Geruch der Erde, die Farbe und Beschaffenheit des Erdreiches der Ackerflächen auf dem Seß (wohl heute längst überbaut!), die mit Erdreich umgarnten Kartoffeln…
Mir war es sozusagen in die Wiege gelegt, die Regionen in RLP und ihren Naturreichtum zu erkunden. Durch die hier versammelten Bildwerke kann sich dieser persönliche Erinnerungs-Horizont aber entscheidend erweitern.
Zur Erde — Zu Sand — Zur Kunst
Verena Reinmann und Christian Reinmann – ein leidenschaftliches Künstler-Duo – zwei Kreativ-Charaktere. Das zeigt sich, wie differenziert sie bei ihrer künstlerischen Arbeit mit ihrem Lieblingsmaterial aus der Natur umgehen. Aus Nah und Fern haben sie inzwischen eine weltweite, kunstvoll bearbeitete Sammlung von Originalsanden und -erden zusammengetragen. Der Ankerpunkt war aber immer Rheinland-Pfalz, das zur Heimat geworden ist. Dafür spricht insbesondere die ausdrucksstarke, als Tableau angelegte fünfteilige Bildkomposition, die Verena Reinmann zum 75-jährigen Bestehen des Landes geschaffen hat.
Hier bietet sich ein einzigartiges Kaleidoskop an Erden und Sanden aus dem ganzen Land. Vom höchsten bis zum tiefsten Punkt, von Ost nach West und Nord nach Süd. Die Künstlerin nutzt dabei ihr kreativ-detektivisches Präzisions-Talent, ihre Sammel- und Dokumentationsleidenschaft, um Vorhandenes, eigentlich für uns alle Zugängliches, in einen unnachahmlichen künstlerischen Kontext zu stellen. Ihr Thema: „Worauf wir stehen“. Ihre Intention: Das Bewusstsein für die Schönheit unter unseren Füßen schärfen, sozusagen eine besondere, visuell-haptische Achtsamkeits-Erfahrung zu schaffen.
Übrigens: Die wohl exklusivste Erd-Probe in der Kollektion von Verena Reinmann stammt vom Nordpol, geborgen in mehr als 4.000 m Tiefe.
Bedenkt man, dass unser leidenschaftliches Künstlerpaar global aktiv ist, so hat das Werk zum Rheinland-Pfalz-Jubiläum eine besonders strahlende Bedeutung. Die vielfältige Farbenkraft wirkt sogar für uns Lokalpatrioten unvermutet. Starke, intensive, mitunter bunte Farbigkeit verorten wir doch eher in der Karibik, in Afrika oder auch im orientalischen Raum. Aber weit gefehlt. – Und on top: Dieser Farb-Dynamik setzen die streng geometrischen Rahmenflächen eine Grenze, die hilft, die Vielfalt einzuordnen.

Sande und Erden (im Bild eine kleine Auswahl) aus aller Welt bilden das Roh-Material für die Kunstwerke von Verena Reinmann und Christian Reinmann.
Wenden wir uns kurz nochmal dem Gesamtbild der Ausstellung zu. Wir sehen die Werke zweier Künstler, die farbige Sande und Erden als Basis für ihr künstlerisches Schaffen nutzen. Und dabei zu ganz unterschiedlichen Gestaltungsansätzen finden, die gar nicht so leicht zu fassen sind, und uns beim Betrachten geradezu verblüffen.
Und mich ganz eindrücklich berühren. — Nach meinem Atelierbesuch Ende Oktober, zur Einstimmung auf den heutigen Abend, kam mir spontan in den Sinn:
Wenn man die Werke der beiden in andere Kunstgattungen transformieren könnte, so steht für mich die Arbeit von Verena Reinmann für Poesie, Lyrik – zum Beispiel im Sinne des Goethe’schen Impetus (Faust 1):
„Werd ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!“
Dahinter verbirgt sich das Streben nach Erkenntnis, die Suche nach Wissen und auch die damit verbundene Unrast und bisweilen auch Unzufriedenheit.
In Frage kommt auch die Anlehnung an Rainer Maria Rilkes „Sonette an Orpheus“ (publiziert 1922, Erster Teil, IV. Sonett): „Fürchtet euch nicht zu leiden, die Schwere, gebt sie zurück an der Erde Gewicht; schwer sind die Berge, schwer sind die Meere.“
Rilke sah seine Arbeit ja nicht als von spontaner Eingebung getrieben, sondern als Ergebnis akribischer, hoch präziser, intensiver Arbeit. Ganz klar ein Berührungspunkt mit Verena Reinmann – sicher finden sich ebensolche mit Dichterinnen wie Annette von Droste-Hülsdorff oder Ingeborg Bachmann.
Bei Christian Reinmann kam mir in den Sinn, dass er literarisch gesehen ein Geschichtenerzähler wäre, ein Romancier — vielleicht sogar gekoppelt mit Musik von Leonard Cohen, dessen Titel Hallelujah von 1984 gerade eine Renaissance feiert. Aber auch Gustav Mahler oder Antonín Dvořák kämen m. E. in Betracht. – Denken wir aber wieder literarisch. Mir kommt in den Sinn: Carl Zuckmayer, in Nackenheim, also in Nachbarschaft zum Rein-mann’schen Wohnort geboren: „Man steht am Ende der Welt und zugleich an ihrem Ursprung, an ihrem Anbeginn und in ihrer Mitte“, wie Zuckmayer 1966 in seiner Autobiografie „Als wärs eine Stück von mir“ schrieb.
Nicht durch Zufall hat Christian Reinmann aus meiner Sicht den lesens- bzw. hörenswerten Text tituliert „Christian Reinmann – Zu meinen Arbeiten“ verfasst, den ich vortragen möchte:
„In meinen ungegenständlichen Bildern sehe ich oft Erinnerungen an die auf vielen Reisen erlebten faszinierenden Wüstenlandschaften und vulkanischen Gebiete gespiegelt. Die Arbeiten bilden keine konkreten Wirklichkeiten, keine bestimmten Landschaften ab. Es sind Erinnerungsspuren, die in der Bildgestaltung ihren Niederschlag finden – als formale oder stimmungsmäßige Elemente. So finden die Eigenarten und Schönheiten rauer Natur ihren Ausdruck aber auch die in vielen Landschaften sichtbaren Verletzungen der Umwelt durch Eingriffe des Menschen oder durch Naturkatastrophen.
Meine Bilder – auf Leinwand oder Papier – sind in ihren Oberflächen meist von einer ausgeprägten Materialität bestimmt. Dabei spielt Sand unterschiedlicher Herkunft, Körnung und Farbe eine wesentliche Rolle als strukturgebendes Element. Als Basismedium der aus vielen Schichten aufgebauten Arbeiten dient oft ein speziell gehärtetes Gipsmischmaterial – bei der Überarbeitung kommen selbstgewonnene Naturpigmente, seltener auch Acrylfarben, zum Einsatz. Mit den starken Strukturen, Zerklüftungen und den erdigen, naturhaften Farbtönen versuche ich im Idealfall eine ‚eigene Natur‘ zu formen.“
Wie gesagt, hat Dr. Otto Martin eine umfassende kunsthistorische Einordnung der Arbeit von Christian Reinmann beim eingangs genannten Vortrag in der Akademie vorgenommen — von der Art Brut über Jean Dubuffets Intention “die Materie zum Sprechen zu bringen” zum Spanier Antonio Tapies. Bemerkenswert erscheint mir zudem folgendes zum Werk selbst, ich zitiere Dr. Otto Martin:
„Seine Bilder locken uns in einen andauernden Prozess zwischen genauer sinnlicher Wahrnehmung bis hin zum Tasten der Reflexion dieser Wahrnehmung und dem möglichen Bedeutungsumfeld. Dies obliegt weitgehend demjenigen, der sich auf den Prozess des Dialogs mit dem Kunstwerk einlässt. Dabei ist auch die Beschränkung auf Formal-Ästhetisches ein weiteres Erlebnisfeld.
(…)
Manche der Bildoberflächen erscheinen wie Bodenprofile – etwa die kleinen Landschaften, nahezu Assemblagen sind es, die im vergleichenden Blick auf die Natur eine Kraft entwickeln, als seien sie gerade geologischen Formationen entnommen. Man denkt an den sogenannten Lackabzug, an ein Verfahren, das die naturgetreue Bergung von Lockergesteinen erlaubt. Ein Erdschichtenbild entsteht, das naturgetreu, jedoch spiegelbildlich einen Ausschnitt der Ablagerungen in lockeren Sedimenten wiedergibt. In aufwändigen Arbeitsschritten werden mit Hilfe von Kunstharzen und Lacken dünne aber farbgetreue Schichten aus dem Grund herauspräpariert.“
Soweit Dr. Otto Martin. – Eine Beobachtung bzw. ein Erlebnis von mir schließt sich an: Im lichtdurchfluteten Atelier – umgeben von Ortschaft und Weinbergen – änderte sich meine Wahrnehmung der einzelnen Bildwerke mit ihren und durch ihre spezifischen Pigmente aus Sanden und Erden immerfort. Das heisst, die Werke bekommen je nach Lichtstimmung einen neuen Charakter und geben optisch wie spirituell immer mehr Inhalte frei. So wird das Betrachten zur sinnlich-experimentellen Erlebnistour, die nie enden will.
Lenken wir zum Abschluss nochmals das Augenmerk auf das Tableau von Verena Reinmann zum 75-jährigen Jubiläum des Landes Rheinland-Pfalz. Sie erläutert detailgenau (und hier am Original-Werk per Skript nachzulesen) einige Beispiele für interessante Orte des Landes RLP.
Ich zitiere aus der Dokumentation von Verena Reinmann: „Bei den 133 Fundorten und über 270 Fundstellen in den Mosaikquadraten spielen nicht nur die vielen Farbvariationen der Erden eine Rolle, es sind auch herausragende geologische, geographische, historische, kulturgeschichtliche oder sonstige interessante Punkte des Landes Rheinland-Pfalz.
So zum Beispiel:
- der Kastanienberg bei Neustadt, auf dem sich das Hambacher Schloss erhebt, das seit 1832 als Ort der Wiege der deutschen Demokratie gilt
- am Rhein, direkt bei der Loreley-Statue
- die Nationalen Geotope wie der „Druidenstein” im Westerwald oder der „Teufelstisch” in der Pfalz
- die Fossilfundstätten wie das „Eckfelder Maar” in der Eifel oder die „Trift” in Rheinhessen
- der steilste Weinberg Europas, der „Bremmer Calmont“ an der Mosel
- ,,die Glöck“ in Nierstein a. Rh., die älteste dokumentierte Weinbergslage in Deutschland aus dem Jahr 742
- der höchste Kaltwassergeysir der Welt in Andernach-Namedy
- das einzige Felsenkloster nördlich der Alpen, die „Felseneremitage“ in Bretzenheim/Nahe
- der höchste und niedrigste Punkt von RLP, der „Erbeskopf“ im Hunsrück und die Kalkgrube der Firma „Schaefer-Kalk” in Hahnstätten im Rhein-Lahn-Kreis (in die Grube passt sogar der Kölner Dom!)
- die vielen unterschiedlichen Farbnuancen der wirtschaftlich bedeutenden Tonerden im Westerwald
- aus der römischen Geschichte des Landes, der alte römische Steinbruch „Kriemhildenstuhl” in Bad Dürkheim oder auch
- die Original-Tonerde, die die größte römische Töpferwerkstatt nördlich der Alpen verwendete; in Rheinzabern wurde das berühmte römische Terra-Sigillata-Geschirr gefertigt
- das Material vom Mittelpunkt von Rheinland-Pfalz sowie von dem nördlichsten, südlichsten, östlichsten und westlichsten Ort des Landes.“
Soweit die Erläuterungen von Verena Reinmann zu den Highlights. Wenn Sie die umfangreiche Gesamtliste, die hier ausliegt, nachlesen – von Alsheim bis Zeller-Hamm – werden sie mit Freude erkennen, wieviel und welche Schätze es hierzulande zu entdecken gilt.
Oder, wie Dr. Otto Martin in seinem genannten Vortrag so trefflich formulierte: „Es geht nicht um ein Verstehen auf die Schnelle, um ein befriedigendes Wiedererkennen, sondern es geht um den immer wieder neuen Austausch zwischen Betrachter und Bild – wenn dies gelingt, dann ereignet sich Kunst.“
In diesem Sinne: Auf in den Dialog mit Kunst und Künstler-Paar. Meine Frage wäre: Wie seid ihr darauf gekommen, das, was ihr macht, so zu tun wie ihr es macht?
Vielen Dank für ihre geduldige Aufmerksamkeit. Und Dank an den Landtag und die Organisatoren dieser gelungene Ausstellung.

Die Ausstellung läuft bis zum 6. Januar 2023. Mo–Fr 8.00 bis 20.00 Uhr, SA 10.00 bs 16.00