Moderner denn je: Realismus in der Chinesischen Hofkunst des 12. Jh.
Wie stellt man Wirklichkeit dar?
Welche künstlerischen Quellen gibt es?
Was waren die Sujets?
Und wie nähern wir uns der Historie an?
Prof. Yu Hui, Deputy Director Painting/Calligraphy und Direktor Research Institute, National Palace Museum, Beijing, zündete ein Feuerwerk an geistreichem Geschichtenerzählen, klugen und innovativen Anmerkungen sowie fulminanten wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Mein Fazit: Wollen wir uns unserer modernen Zeit und gerade der westliche Kultur annähern, lohnt sich ein kleiner Umweg über die Hofkunst des 12. Jahrhunderts in China. Damals entstanden herausragende Realismus-Kunstwerke, die an Präzision, Eloquenz und nachhaltiger Modernität kaum zu übertreffen sind.
Prof. Yu Hui nahm als Heinz Götze Visting Professor einige Wochen am Lehrgeschehen im Heidelberger „Institute of East Asian Art History” teil. Seine Vorlesungen waren fast schon überfüllt. Und wurden von Prof. Dr. Sarah E. Fraser, Chinese Art History, sowie Senior Prof. Lothar Ledderose begleitet.
Keine Angst. Ich bin nicht im Lager, sondern in der Universität Heidelberg, Karl Japsers Centre, Institute of East Asian Art History. Gleich geht es los mit dem “Kunst-Kaiser” von China, Prof. Yu Hui, National Palace Museum, Beijing. Sein Thema “Metropiltan Persepectives on Realisms in Court Painting, 12th and 18th Centuries“ …
In China übernehmen Museen neben Ausstellung und Konservierung von Kunstwerken auch die wissenschaftliche Forschung. Nicht die Universitäten, denen die Lehre vorbehalten ist, erläutert Prof. Yu Hui, Deputy Director Painting & Calligraphy und Director Research Institute, National Palace Museum, Beijing.
Äußert schwierig gestaltet sich die Datierung von Kunstwerken im 12. Jh. wenn gleiche Motive bei verschiedenen Künstlern auftauchen, die konsistent bis ins Detail einheitlich gestaltet sind, die aber Generationen auseinanderliegen und die Zuschreibung nicht klar ist. Dem Forscher und Museumsdirektor Prof. Yu Hui gelingt es aber dank akribischer „Detektivarbeit”.
Sensationell. Die Arbeiten des Chinesischen Realismus im 12. Jh. sind so detailreich, dass Prof. Yu Hui in einem Beispiel die Datierung aufgrund dargestellter Lampen, die mit Preisschildern versehen waren, vornehmen kann.
Unglaublich ist, wie gemäss Prof. Yu Hui Chinesischer Realismus detailliert und mit Perspektiven aufwartet, um vom Plakativen weg hin zu Raumtiefe zu gelangen. Und zwar um das Jahr 1100, also >300 Jahre bevor dies europäische Kunst aufgreift, die sich damals noch in der Düsternis des Mittelalters suhlte.
Zugleich wurden laut Prof. Yu Hui aktuelle Tagesereignisse resp. Events aufgegriffen und dargestellt. In der Kalligrafie/Zeichnung wie in der Malerei.
Geht man in Details, so Prof. Yu Hui, kann man sogar die Darstellung sozialer Konflikte in Werken des Chinesischen Realismus des 12. Jh. ausmachen. Dies war kennzeichnend für die Song Dynastie
Die Darstellung sozialer Konflikte zum Beispiel beim Überqueren der Brücke, wobei die Soldaten sich rüde vordrängen, war eine fundamentale Kritik, die offen geäußert wurde, so Prof. Yu Hui. Der Kaiser wollte diese Werke in seiner Sammlung haben, listete sie aber nicht offiziell, sondern reichte sie weiter an seinen Onkel.
Ebenso wurde im Chinesischen Realismus des 12. Jh. exzessives Alkohol-Trinken angeprangert, so Prof. Yu Hui.
Wie modern! Es wurde in der Kunst vor über 900 Jahren bereits gezeigt, wie das hektische Leben in großen Städten des 12. Jh. in China ablief: Viel Verkehr, keine Zeit für Mittagspausen, und anderes mehr, was an unsere heutige Zeit erinnert, wie Prof. Yu Hui, Deputy Director, National Palace Museum, Beijing, berichtete.
Spannend ist zu sehen, wie sich die visuelle Sprache der Bilder von Dynastie zu Dynastie im 12. Jh. verändern. Von Song zu Ming zu Qing entsteht ein Paradigmenwechsel: Social-Themen weichen Entertainment und Self-Enjoyment!
FRAPPIEREND: Dreht man das Jahrhundertdatum von “12” in “21”, könnte dies exakt auch unsere heutige Situation treffen.
Spannende Parallele, oder? Kulturgeschichte verläuft immer ziemlich zyklisch – und kehrt bisweilen zum Ausgangspunkt zurück. Das sollten sich die „Digitalen Social Medianer“ von heute mal anschauen und merken!
Inhaltlich veränderte sich in der chinesischen Kunst (ausgehend vom Realismus des 12. Jh., dass die Sozialkritik der Song Dynastie laut Prof. Yu Hui der Darstellung von Unterhaltung und Lifestyle in der Ming und Qing Dynastie weichen musste. Sprich: Das 12. Jh. Ist dem 21. Jh. nicht unähnlich. Oder?
Das Zauberwort (ausgehend vom Chinesischen Realismus des 12. Jh.) wurde laut Prof. Yu Hui: Self-Enjoyment! Die Kunstfertigkeit der Maler und Zeichner wurde zusehends beflügelt, da die Anforderungen an die Malqualität und die Sujets deutlich anstiegen.
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