Gisela Rapp: Ephesos. Merk-Male und Zeichen des Sich-Erinnerns
Von Hermann Rapp, Neuweilnau
Am Anfang stand eine Rundreise durch die Türkei. Das war vor mehr als zehn Jahren. Dabei lernten wir Ephesos kennen, und aus diesem Kennenlernen und aus dem Mitgebrachtem entstand ein Gobelin von vier meter Länge, ein Spaziergang durch die Stadt. Die Wiedergabe dieses Gobelins wird jetzt ein Teil eines Pressendrucks werden, zusammen mit Gedichten der Sappho. Das Buch ist im entstehen. Vorweg wurde aus den Reproduktionen des Gobelins ein Kalender zusammengestellt [1], dieser ist nicht im Handel, er dient der Druckerei, unserem Sponsor [2], seine Kundenkontakte zu stabilisieren.
Die Höhe des Gobelins, gewoben von Gisela Rapp auf dem Hochwebstuhl aus selbstgesponnener Schafwolle und Baumwollgarn, beträgt rund einen halben Meter. Doch durch die etwa achtfach größere Länge wird das Wandern, das gedankliche Durchschreiten einer erlebnisreichen Inszenierung suggeriert, Stakkatofolgen wechseln mit Verweilplätzen und ruhigen Passagen und Wegstrecken, die Farbe gibt dem einen Element eine Hervorhebung, dem anderen seine verhaltene Ruhe oder Weite, alles bleibt nur ein Mittel, um der Lust des Fabulierens, dem Sich-ein-Bild-Machen, Engelsflügel zu geben.
Die Wiesbadener Malerin und Galeristin Christa Moering sagte bei einer Ausstellung der Arbeiten von Gisela Rapp in Wiesbaden: »Die Gobelins von Gisela Rapp sind von einem hohen künstlerischen Niveau und zeigen in ihrer Vielseitigkeit den Stand der heutigen Webkunst. Auch hier ist die abstrakte Gestaltung der Ausdruck unserer Zeit. Wie Fahnen hängen die Gobelins voreinander und sind aufeinander bezogen und zugeordnet. Sie wirken dadurch wie ein Fahnenwald! Zu den dunklen,schweren Motiven wirken die hellen als gelungener Kontrast; zumal der Teppichfries |Ephesos] mit seinen leichten Formsymbolen beinahe graziös anmutet. — Alle Gobelins sind Kunstwerke, wie ich sie seinerzeit bei der aus dem Bauhaus kommenden Else Mögelin, der berühmten Teppichweberin, erlebt habe. Selten sieht man Webkunst-Arbeiten, die so streng aufgefasst sind!«
Nichts in diesem Gobelin sind eindeutige, wiedererkennbare Bilder, es sind Chiffren vom Gesehenen, weitergereichte Gedanken, Bilder der Erinnerungen und der Kontemplation: Merk-Male und Zeichen des Sich-Erinnerns. — Ein ganzes Jahr lang kann der Betrachter nun umherwandeln, träumend und nachdenkend. In Ephesos.
Aus dem Nachwort meines Buches will ich zitieren, dort heißt es:
Einige zählen neun der Musen,
doch wahrlich zu wenig!
Zähle die zehnte dazu!
Sappho von Lesbos ist’s.
Dieser Überzeugung war Platon. — Sappho, sie lebte im sechsten Jahrhundert vor der Zeitenwende und wurde auf der Insel Lesbos geboren. Sie war ihm keine Göttin, doch göttlich, er wollte, daß sie hervorgehoben sei als Frau und Dichterin. Wenn wir wissen, daß die göttlichen Musen mit Apollon, dem Gott der Musik und der Weissagung, dem Musenführer, verbunden waren, verstehen wir, was die Bildfolge in einem Haus in Ephesos ausdrücken will.
In einem der Häuser oben am Hang von Ephesos wurden aus hellenistisch-römischer Zeit Fresken freigelegt; in einem Raum versammeln sich neben den neun Musen noch Apollon und die Sappho. Nahe liegt es dann, daß bei der Auswahl der Motive Platons Einschätzung bedacht wurde. An anderer Stelle ist zu erfahren, daß die ›Schule für höhere Töchter‹ (so könnte man es benennen, was die Sappho betrieb) wiederum den Musen und Apollo gewidmet war. Sappho, deren Lieder und Bruchstücke in einer Auswahl in diesem Buch versammelt sind, finden wir also in Ephesos.
In Ephesos wurde auch die Celsus-Bibliothek ausgegraben, seine Schauseite vermittelt wieder viel von ihrer ehemaligen Schönheit. — Vor rund zehn Jahren waren Gisela und ich auf einer Rundreise durch die Türkei, dabei lernten wir auch Ephesos kennen; aus Skizzen und Erinnerungen entstand später in Giselas Webstuhl ein Gobelin von rund vier Meter Länge. Er erhielt kurz und genau den Titel ›Ephesos‹.
›Beim Beschäftigen mit den Gedichten der Sappho entstand in mir die fixe Idee, daß sie auch in dieser Bibliothek eingestellt waren, dies geschah ohne jegliches Nachprüfen; mein Kopf wollte, daß dies so war, ich fand meine Schnittstelle, ich führte zusammen, was ich zusammen haben wollte.
Jahre später suchte ich Ephesos wieder auf, zeichnete und malte, las in der alten Stadt immer wieder die Gedichte der Sappho — alles war gut, nichts sträubte sich in mir. Ich suchte meine Motive, sie wurden in diesem Buch die Graphiken.‹
So viel aus dem Nachwort des Buches. Das Buch mit den Liedern der Sappho wurde bei Offizin Die Goldene Kanne in einer Auflage von 20 Exemplaren auf Bütten gedruckt werden, dazu Graphiken in einer besonderen Hochdrucktechnik, handgebunden.
Die Offizin Die Goldene Kanne ist eine druckgraphische Werkstatt, in ihr erscheinen Bücher und Graphiken die im Handsatz erstellt werden und in der Regel auf der Handpresse auf meist handgeschöpften Papieren gedruckt werden. Alle Bücher werden mit Originalgraphiken ausgestattet. Die Presse wird betrieben von Hermann Rapp, Jahrgang 1937, er ist Maler und Graphiker, Autoren der Offizin die Goldene Kanne sind u. a.: Hölderlin, Seneca, Sappho, Kallimachos, Mörike, Goethe. Ihm zur Seite steht Gisela Rapp, Jahrgang 1935, ihr kreatives Tätigkeitsfeld ist das Weben von Gobelins. Betrieben wird beides in einem alten Fachwerkhaus in dem Taunusdorf Neuweilnau, zugehörig zur Gemeinde Weilrod, etwa eine Autostunde nördlich von Frankfurt am Main [3].
[1] Der Kalender zeigt Monat für Monat einen weiteren Teil des im Original vier Meter langen Gobelins mit dem Titel ›Ephesos‹, geschaffen 1996 von der Textilkünstlerin Gisela Rapp. Die Bildqualität ist so verblüffend, erst die Fingerprüfung beweist, daß es sich nicht um ein Gewebe, sondern ›nur‹ um einen Druck handelt.
[2] Mabodruck gmbh, Harald Weil, D 61476 Kronberg im Taunus.
[3] Offizin die Goldene Kanne, Gisela Rapp, 61276 Weilrod/Deutschland, Schloßstraße 30, Telefon 0049 6083 1660.
© 1996/2015 by Offizin Die Goldene Kanne, Gisela Rapp, e-mail: offizin@yahoo.de
Hinweise:
Hermann Rapp verstarb am 21. Februar 2015. Er verfasste den Text im Jahr 2003, als der genannte Kalender erstellt wurde. Erstveröffentlichung: Zeitschrift für klassische Archäologie 30 / III / 2004.
Die Gobelin-Kunst von Gisela Rapp wird seit Juli 2015 in Mainz ausgestellt bei Value Art+Com. Besichtigungstermine nach Vereinbarung.
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