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PortraitGudrunZapf : Foto Frank Lübke

Gudrun Zapf-von Hesse, fotografiert von Frank Lübke, 2018.

 


 

Es gibt kein ewiges Leben, wohl aber ein reichhaltig-erfülltes oder gar vollkommenes. Knapp drei Wochen vor ihrem 102. Geburtstag verstarb gestern Gudrun Zapf-von Hesse. Sie wird uns fehlen, trotz aller wunderbaren Erinnerungen an sie. Ciao Bella! — Andreas Weber, 14. Dezember 2019

 


»Die Schönheit und Modernität oder besser gesagt die Zeitlosigkeit des Schaffens von Gudrun Zapf-von Hesse erscheint nachhaltiger denn je. Das möchte ich getrost und voller Demut ›unaufdringliche Vollkommenheit‹ nennen.«

Andreas Weber, Frankfurt am Main

 

Ich besuchte Gudrun Zapf-von Hesse im August 2015, knapp drei Monate nach dem Tod ihres Mannes. Es war das erste Mal, dass wir uns alleine trafen. Sie hatte Tee und Kuchen vorbereitet. Wir residierten auf der Terrasse und sie bedankte sich bei mir für den Nachruf auf Prof. Hermann Zapf, den ich verfasst und in deutsch sowie englisch ›digital‹ publiziert hatte. Ich konnte ihr zudem ein von mir angelegtes Dossier übergeben mit Berichten aus aller Welt, speziell für sie ausgedruckt. Freudig blätterte sie darin, während ich erläuterte, dass vor allem Online, in Blogs und Websites sowie per Social Media, weltweit hohe Anteilnahme gezollt wurde. Gerade von Jüngeren aus der Digital-Zunft. Sie wirkte sehr zufrieden und schien doch ein wenig überrascht, dass ihrem Mann und durchweg immer auch ihr selbst solch hohe Wertschätzung widerfahre.

Süffisant und mit dem für sie typischen verschmitzten Lächeln merkte sie an, dass sie stets das Zeitgemäße schätze, wobei Zeit, ihre Zeit, nunmehr fast vier Generationen ausmachten, von denen sie beruflich über 80 Jahre aktiv war. Wir beschlossen den Nachmittag mit einer ausgiebigen Visite ihres Ateliers und ihrer großartigen Arbeiten. In Summe: Eine berührende, nachhaltige und wunderbare Begegnung, die ich nicht missen möchte. Und für die ich auf ewig dankbar sein werde.

Über ihr Leben hat Gudrun Zapf-von Hesse in Wort, Schrift und Bild selbst Auskunft gegeben: »Mein Berufsleben begann mit einer Buchbinder-Lehre bei Prof. Otto Dorfner in Weimar. Während dieser Zeit begann ich, mich mit Kalligraphie zu beschäftigen — in der Auseinandersetzung mit Büchern von Robert Koch und Edward Johnston [die Gudrun Zapf-von Hesse als Jugendliche abendlich von Hand abschrieb!]. Nach meinem Abschluss als Buchbinder-Meisterin arbeitete ich in Berlin und konnte kurzzeitig den Schriftunterricht von Johannes Boehland besuchen. Von da an war ich von Schriftkunst und Satzschriften begeistert. Von 1946 bis 1955 betrieb ich eine eigene Buchbinderwerkstatt in Frankfurt am Main. Ich dieser Zeit unterrichtete ich auch Schriftkunst an der Städel-Schule.«

 

Zapf Werkzeuge imgtoolkit.culturebase.org

 

Und weiter schildert Gudrun Zapf-von Hesse: »1948 führte ich die ersten Satzschriften-Entwürfe für die Schriftgiesserei D. Stempel AG in Frankfurt am Main aus. Die Schriften Diotima, Diotima Antiqua, Ariadne Initials und die Headline-Schrift Smaragd (Emerald) erschienen in den Jahren 1951 bis 1954 als Bleisatz-Schriften. Später wurden diese Schriften auch für die Linotype Setzmaschinentechnik übertragen. In den nachfolgenden Jahren habe ich weitere andere Alphabete gestaltet: Shakespeare Roman und Italian als Exklusivschriften für Hallmark Cards Inc. in Kansas City, und Carmina für Bitstream Inc. in Cambridge/Mass., gefolgt von Nofret und Christiana für die H. Berthold AG in Berlin sowie Alcuin und Columbine Script für URW in Hamburg. 1991 erhielt ich für mein Werk den Frederic W. Goudy Award, den renommiertesten Preis für Buch- und Schriftdesign in den Vereinigten Staaten von Amerika.«

Mit dieser ›Selbstauskunft‹ — und vor allem mit ihrer monografischen Buchveröffentlichung aus dem Jahr 2002 — hatte sie auf ihre Art, bescheiden, kompetent und äußerst würdevoll mit dem 20. Jahrhundert abgeschlossen. Das vollendet ausgestattete Buch, gesetzt aus der Nofret Antiqua, gestaltet von Hermann Zapf, erschien als deutsche Ausgabe bei der Gesellschaft zur Förderung der Druckkunst in Leipzig und auf Englisch mit dem Titel ›Gudrun Zapf Bindings Handwritten Books Typefaces Examples of Lettering and Drawings‹, verlegt durch Mark Batty, West New York/NJ.

 

 

Doch es sollte sich im 21. Jahrhundert noch weiteres und ganz bedeutendes tun. Gudrun Zapf-von Hesse schuf gemeinsam mit Akira Kobayashi, dem Leiter des Linotype-Schriften-Ateliers, die Diotima Classic als Digitalschrift, die 2008 publiziert wurde. Insgesamt entstanden 8 Schriftschnitte, unterstützt werden mindestens 33 Sprachen in den Formaten Pro / OT CFF. Und mit Hilfe des Berliner Typografen und Schriftforschers Ferdinand Ulrich schuf sie die Schriftfamilie ›Hesse Antiqua‹, indem ihre Entwürfe aus dem Jahr 1947f. in die digitale Welt übertragen wurden. Das Schriftenhaus Monotype publizierte die neue Schriftfamilie pünktlich zum 100. Geburtstag von Gudrun Zapf-von Hesse am 2. Januar 2018. 

Im darauffolgenden Herbst, am 8. November 2018, dem 100. Geburtstag von Hermann Zapf, wurde Gudrun Zapf-von Hesse eine besondere Ehre zuteil: Der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling kürte sie zum Ehrenmitglied der Internationalen Gutenberg-Gesellschaft Mainz. Gundela Kleinholdermann hat die Urkunde exzellent gestaltet, gesetzt aus Smaragd und Palatino, um die beiden eigenständigen Künstler mit zweien ihrer Glanzwerke der Schriftkunst zu vereinen. Zu diesem Anlass gab es eine Filmpremiere im Gutenberg-Museum. ›Alphabet Magic‹ ist die filmische Dokumentation betitelt, die das Leben und Wirken des Schrift- und Buchkunst-Ehepaares Zapf würdigt. Initiatoren des Films sind ihre Nichte, die Modedesign-Professorin Alexandra Albrand, sowie ihr Neffe Georg Grabkowsky. Die beiden arbeiteten seit 2013 an der Umsetzung. Regie führte Marita Neher. »Die Dokumentation schaut, auch unter Nutzung des Nachlasses von Hermann Zapf in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, den Künstlern über die Schulter und gibt mit Statements auch von Weggefährten und Kollegen einen Einblick in die Lebensgeschichte und das Werk der beiden«, wie Silvia Werfel in einer Zeitungsbesprechung anmerkte. 

 

Alphabeth Magic Exhibition NY 2019

 

Das Besondere in der Beziehung von Gudrun und Hermann Zapf — beide lernten sich 1948 kennen und heirateten im Jahr 1951 — ist kaum durch Worte zu beschreiben. Umso wichtiger, dass im März 2016 eine Würdigungen ganz besonderer Art stattfand. Die Ilke und Berthold Roland-Stiftung zeichnete das Schriftkünstler-Ehepaar mit seinem Kunstpreis aus. Ort des Gesehenes war wiederum das Gutenberg-Museum, im Beisein von Generaldirektor Thomas Metz, Kulturelles Erbe (GDKE) Rheinland-Pfalz, als Vertreter des Landes, und einer erlauchten Schar von Gästen. Museums-Direktorin Dr. Annette Ludwig schien es problemlos möglich, ad hoc aus eigenen Sammlungsbeständen zur Kunstpreis-Verleihung eine kleine, aber feine Ausstellung mit Werken beider Preisträger zu arrangieren, um ihre Laudatio abzurunden.

Dem Gutenberg-Museum als hehrem Ort der Buchdruck-Kunst tat es sichtlich gut, das Erbe Gutenbergs, dem man sich mit Leidenschaft widmet, mit der Kultur der Zapf’schen Schriftkunst zu verbinden. Es wurde für alle Anwesenden ersichtlich: Die vollendete, meisterhaft inszenierte Form hebt die gedruckten Inhalte auf das Siegerpodest — quasi ein Leitmotto im Schaffen der beiden Kunstpreisträger. Zapf&Zapf sind als Schriftentwerfer und Kalligraphen von Weltrang nicht ›Konkurrenten‹, sondern ein ›Dream-Team‹, wie man es sich besser gar nicht vorstellen kann. Sogar im Herzen des Silicon Valley war man sich dessen bewusst, als man im Jahr 2001 in der renommierten Public Library in San Francisco das ›Zapfest‹ als Mischung aus Ehrung, Ausstellung und Kolloquium organisierte. — Übrigens: Mit der Ausstellung von The Grolier Club of New York »Alphabet Magic: A Centennial Exhibition of the Work of Hermann & Gudrun Zapf«, die seit Februar 2019 bis zum 27. April 2019 zu sehen ist, setzt sich die hohe Wertschätzung für das Ehepaar Zapf in den Vereinigten Staaten von Amerika erfolgreich fort.

Wobei, das hat auch Hermann Zapf so gesehen und mir gegenüber persönlich geäussert, das künstlerische Schaffen seiner Frau deutlich weiter gefächert ist als das Seinige. Denn Gudrun Zapf-von Hesse hat ein perfekt ausgeprägtes künstlerisches Talent, das mit technischer Handwerkskunst auf höchster Ebene gekoppelt ist, wie gerade ihre freien Arbeiten belegen.

 


 

»Ein Jahrhundert – zwei Schriftkünstler«

KatalogFotosZM

Am 14. April eröffnete die Ausstellung »Ein Jahrhundert – zwei Schriftkünstler« mit den Schriftkünstlern Gudrun Zapf-von Hesse und Helmut Matheis. Sie sind die ältesten noch lebenden Schriftkünstler der westlichen Welt und zählen (jeder!) 101 Jahre. Katharina Pieper und der Stiftung Schriftkultur e.V. in Homburg (Saar) ist damit ein echter, weltweit einzigartiger Coup gelungen. ist uns gelungen, beide in einer Ausstellung zu vereinen. Rechts: Heiner Müller mit Helmut Matheis in Bad Bergzabern. Der nachfolgende Text über Gudrun Zapf-von Hesse wurde für den Katalog verfasst.

Impressionen von der Eröffnung

#Weltklasse! Es lebe die Schriftkultur. Ein kleiner Schritt für die Kalligraphie, ein großer für die Menscheit. Katharina Pieper, Heiner Müller und ihre Mitstreiter bei der Stiftung Schriftkultur e.V. in Homburg (Saar) begeisterten am 14. April 2019 mit über 100 Exponaten mehr als 100 Besuchern für zwei über 100 Jahre alte, noch lebende Schrift-Künstler: Gudrun Zapf-von Hesse und Helmut Matheis faszinieren mit ihrem Lebenswerk. Kreativ, vollkommen, zeitlos entfaltet sich eine künstlerische Perfektion, die ihres Gleichen sucht. BRAVO 👏 BRAVISSIMO! — Der exzellente Katalog kann über Katharina Pieper zum Verkaufsreis von Euro 15,00 bezogen werden (ggf. fallen Versandkosten an). 

Foto-/Video-Animation: Andreas Weber

 


 

Dr. Hans A. Halbey, verdienstvoller früherer Direktor des Gutenberg-Museums sowie des Klingspor-Museums in Offenbach, merkte in seiner umfassenden wissenschaftlichen Würdigung von Gudrun Zapf-von Hesse aus dem Jahr 2002 wie folgt an: »Das Schreiben und Schriftentwerfen sowie das Buchbinden erfordern unbedingte Disziplin in der technischen Präzision und ganze Hingabe. Bei Gudrun Zapf-von Hesse kommt das angeborene Gefühl für Maß und Proportion hinzu, ihre Werke beweisen das, besonders an ihren Einbänden, wo Maßhalten und Sichbescheiden im Dekor ihren künstlerischen Stil bestimmen. Schließlich ist ihre Liebe zur Natur und zu den kleinen Dingen in ihren oft hauchzarten Zeichnungen und in den farblich verhaltenen Aquarellen erkennbar.«

Ich darf aus meiner Sicht ergänzend anmerken: Gudrun Zapf-von Hesse gehört zu den Universal-Talenten unserer Kunst- und Kulturgeschichte und könnte, auch heute noch, mit der Präzision eines Schweizer Spitzen-Uhrmachers oder eines Edel-Goldschmiedes mithalten. Nach der Perfektionierung des Schreibens von Hand begann sie als junge Frau, Messingstempel gemäß eigenen Buchstaben und Zeichen zu schneiden, um vor allem Goldprägungen vornehmen zu können. Testformen gab es keine, alles gelang auf Anhieb! Ihre Bucheinbände sind Unikat-Kunstwerke, wie man gleiches kaum zu finden vermag. Ihre von Hand geschriebenen Bücher sind Meilensteine der Buchkunst, bei denen man auf den ersten Blick nicht glauben mag, dass sie nicht mit perfekten Satzschriften gefertigt wurden. Ihre kalligraphisch-geprägten Aquarelle verzaubern. Seit 1952 stellte sie auf internationaler Ebene ihre Werke aus und erntete von allen Seiten Lob, Anerkennung und Bewunderung. Bis heute ist Gudrun Zapf-von Hesse vor allem der Schreibwerkstatt Klingspor Offenbach herzlich verbunden. Im Wohnhaus in Darmstadt werden, wie eingangs dargelegt, ihre Werke sorgsam bewahrt und inszeniert. Unaufdringlich, aber fulminant in der Wirkung. Wer immer dort sein darf, kommt aus dem Staunen nicht raus!


Martin Joppen Honorarfrei bei Urheberangabe/ Belegexemplar

Gudrun und Hermann Zapf während einem von Linotype organisierten Ehrenabend im Schloßhotel Kronberg, Hessen. Foto: Linotype


 

Hermann Zapf war ein glücklicher Mensch. Bis in den Tod hinein. Er durfte sich stets unbeschadet im Schatten seiner geliebten Frau sonnen. Ein Leben lang. Und er stand trotzdem immer im Mittelpunkt. Außer manchmal, wie bereits einige Male in der Gutenberg-Stadt Mainz, und nunmehr bei der Stiftung Schriftkultur e.V. im Gut Königsbruch, Homburg. Da stand und steht Gudrun Zapf-von Hesse im Mittelpunkt. Mit ungebrochener Freude und Dankbarkeit für ihr Leben und Wirken sowie für den Mann an ihrer Seite, den sie vermisst, der ihr aber nie fern sein wird.

 


Zapf Schiller

Diese Zeilen von Friedrich Schiller, die Gudrun Zapf-von Hesse vollendet in einem kalligraphischen Werk inszenierte, wurden im Goethe-Haus zu Frankfurt am Main von Frühjahr bis Herbst 2017 neben anderen Arbeiten von ihr ausgestellt.

Der Dialog mit der Kunst der Goethe-Zeit, vor allem auch mit Friedrich Hölderlin, hat Gudrun Zapf-von Hesse von früh an geprägt und lebenslang angespornt. — »Der Mensch ist aber ein Gott, so bald er Mensch ist. Und ist er ein Gott, so ist er schön.« (Aus: Zweites Buch, Hyperion an Bellarmin XXX, S. 141).


 

Die Schönheit und Modernität oder besser gesagt die Zeitlosigkeit des Schaffens von Gudrun Zapf-von Hesse erscheint nachhaltiger denn je. Das möchte ich getrost und voller Demut ›unaufdringliche Vollkommenheit‹ nennen.

Andreas Weber, Frankfurt am Main

 


 

Zum Autor

 

RS Kunstpreis Zapf Foto von Andreas Weber IMG_1862

Gudrun Zapf-von Hesse mit Andreas Weber im Gutenberg-Museum zu Mainz aus Anlass der Verleihung des Kunstpreises der Ilke und Berthold Roland-Stiftung am 6. März 2016. Foto: Andreas Weber.

Der in Homburg (Saar) geborene Andreas Weber studierte Geisteswissenschaften an der Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz. Über berufliche Stationen im Druck- und Verlagswesen, der Printtechnik-Industrie sowie durch eigene Unternehmens-Gründungen entwickelte er sich zu einem international anerkannten Experten für Kunst und Kommunikation. Gudrun Zapf-von Hesse und Hermann Zapf lernte er in den 1980er Jahren persönlich kennen. Der enge Kontakt zur Schriftbranche sowie gemeinsamen Freunden aus der Typografie- und Buchkunst-Szene — allen voran Gisela und Hermann Rapp — schafften stets eine große Verbundenheit.

 


 

Lesetipp

Im Blog www.valuetrendradar.com von Andreas Weber finden sich Beiträge zu Gudrun Zapf-von Hesse und Prof. Hermann Zapf (in deutscher und englischer Sprache):

»Meisterlich: RS-Kunstpreis für Gudrun Zapf-von Hesse und Hermann Zapf« vom 6. März 2017

»Nachruf auf Hermann Zapf: Mit Präzision und Leidenschaft zur Meisterschaft!« vom 8. Juni 2015

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Quelle: http://fontslate.info/designers/adrian_frutiger.html

FOTO: http://fontslate.info/designers/adrian_frutiger.html

2015 ist für die Schriftkunst-Szene ein Schicksalsjahr. Es galt, große Verluste zu meistern: Im Februar starb der Buch-Künstler Hermann Rapp. Im Juni der Kalligraph Prof. Hermann Zapf. Und im September Adrian Frutiger. Alle drei waren über Jahrzehnte miteinander verbunden. Und sogar eng befreundet. — Zum Tod von Adrian Frutiger verweisen wir auf zwei persönliche Kommentare: Von unserem Geschäftsfreund Martin Spaar. Und auf den Nachruf des Typo-Experten Ralf Turtschi. —Andreas Weber

Eine wegweisende Jahrhundertfigur

Es gibt Bücher, die werden ihren festen Platz in meiner durch den Kindle zunehmend reduzierten Bibliothek auf immer verteidigen. Adrian Frutigers «Ein Leben für die Schrift» gehört da an erster Stelle mit dazu.

Wieso? Einerseits, weil mir dieses Werk als Quereinsteiger ins Publishing Typografie wirklich nahe gebracht hat. Frutiger geht das Thema packend und erfrischend anschaulich an. Etwa indem er einzelne Schriften bezüglich ihrer Funktion mit Schuhen vergleicht oder mit Autos bezüglich der Stil-Epochen. Grossartig!

Frutigers Autobiografie gibt aber auch jenseits der Typografie viel her. Sie zeichnet das Bild einer Jahrhundertfigur, von der man viel lernen kann. Dieses Werk ist nicht nur typografisch und gestalterisch inspirierend, sondern zeigt eine Geisteshaltung, einen Spirit, wie er gerade in der heutigen Situation der grafischen Industrie wegweisend sein sollte: Da ist eine fast kindliche Offenheit gegenüber allem Neuen und Anderen. Frutiger hat die Herausforderungen durch den technologischen Wandel freudig angenommen; vom Fotosatz über den IBM-Composer bis zu den ersten PCs, die ihn als Schriftgestalter mit dem Instrument der Bézier-Kurven geradezu begeistert haben.

Dazwischen galt es auch Rückschritte wegzustecken. So etwa, als mit den ersten Computern die Schriften nur pixelmässig dargestellt werden konnten. Da blieb viel Qualität auf der Strecke. Frutiger hat diesen «Weg durch die Wüste» auf sich genommen, ist am Ball geblieben und hat darauf vertraut, dass wieder typografisch fruchtbarere Technologien folgen würden.

«Ich war und bin ein Kind meiner Zeit», schreibt er und als solches hat er nicht mit dem Schicksal gehadert und auch bei schweren persönlichen Schicksalsschlägen seine Schöpferkraft, seinen positiven Spirit bewahrt – oder mehr in Frutigers Sinn gesprochen: als Geschenk demütig und freudig angenommen.

Frutiger hat sich früh und immer wieder an Vorbildern orientiert und ist so selbst eines geworden. An ihn und vor allem seinen Spirit dürfen wir uns immer wieder erinnern lassen. Denn Adrian Frutiger wird in der Schweiz wohl noch lange allgegenwärtig bleiben. Er winkt uns von jedem Einzahlungsschein (von ihm entworfene OCR-B), von jedem Autobahnschild (Astra) und von jeder Postfiliale (Frutiger) entgegen. Und falls Sie es nicht schon längst bemerkt haben: Auch das Publisher-Logo basiert auf der Frutiger. Eine Reminiszenz, die wir gerne bewahren!

Martin Spaar,
Verleger des Fachmagazins PUBLISHER, Winterthur

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Quelle/Foto: fontshop.de

Was bleibt

Nachruf von Ralf Turtschi

Am 10. September 2015 starb der Schriftgestalter und Typograf Adrian Frutiger 87-jährig in Bremgarten bei Bern. Sein Schaffen hat die Welt verändert.

Als ich Adrian Frutiger 1971 zum ersten Mal «begegnete», stand ich vor einem Setzkasten, der mit Univers bezeichnet war. Man war sich damals nicht ganz einig, ob man Univers französisch oder deutsch aussprechen würde. Sie war ein Gegenentwurf zur omnipräsenten Helvetica und der Akzidenz-Grotesk. Ich konnte sie anfangs nicht so richtig auseinanderhalten und schaute deswegen auf das kleine t, welches im Gegensatz zur Helvetica angeschrägt war. So konnte ich aufs Erste die Schriften auseinanderhalten. Später entdeckte ich weitere Merkmale, welche die Helvetica geradezu altbacken aussehen liessen.

Adrian Frutiger studiert nach seiner Schriftsetzerlehre an der Kunstgewerbeschule Zürich und zieht 1952 nach Paris, wo er für die Schriftgiesserei Deberny et Peignot tätig ist. Ein Jahr später beginnt er mit den Entwürfen an der Univers, die 1957 zuerst für den Fotosatz, später für den Bleisatz herauskommt.

Die Univers ist radikal anders, als es die damalige Zeitempfindung vorgibt – Schriften ohne Serifen sind im Mengensatz sowieso ein Unding. Frutiger legt eine Systematik vor, die alles Bisherige in den Schatten stellt. Für die einzelnen Schriftschnitte der Univers sieht er ein Klassierungssystem vor, welches aus zwei Buchstaben besteht. Die Zehnerzahl deutet auf die Fette, die Einer bedeuten Lage und Breite.

Den ganzen Nachruf auf Adrian Frutiger finden Sie in der aktuellen Online-Ausgabe des Publisher. 

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