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Fee Fleck vor einem der Med-Bilder in ihrem Atelier in Mainz. Foto: Andreas Weber

Laudatio von Andreas Weber, zum Ausstellung im Landesmuseum Mainz anlässlich des 80. Geburtstag von Fee Fleck

Es geschah am 27. Tag eines Monats, dem 27. Dezember des Jahres 1950, im Herzen einer Weltmetropole beim Spazierengehen. Ein Mann bricht auf offener Strasse zusammen und stirbt in Sekundenschnelle an Herzversagen. Zuvor hatte er intensiv an der Vollendung eines Meisterwerkes in Form eines Triptychons gearbeitet. Was war geschehen? Endet, wenn das Werk vollendet ist, gleichzeitig auch das Leben des Künstlers? — Der Mann starb übrigens in der Fremde. Das Triptychon wurde sein Vermächtniswerk, in dem er vieles bündelte, was sein Leben und Wirken ausmachte.

Es geschieht am 27. Tag eines Monats, dem 27. Januar des Jahres 2012. Im Mainzer Landesmuseum wird eine Ausstellung eröffnet:

Fee Fleck: Medea – die Fremde. 

Zufall, oder auch nicht? Der in der Fremde Verstorbene hatte seinem gerade noch vollendeten Triptychon zunächst den Arbeitstitel „Die Künstler“ und dann final den Namen ”Die Argonauten“ verliehen. Wir sehen im Mittelbild, das an ganz frühe Darstellungen des Künstlers anschließt, den antiken Helden Jason in der Mitte seines Bootes Argo, umgeben von einem Gefährten, geheimnisvollen Himmelserscheinungen und einem bärtigen Greis, der aus dem Meer heraufsteigt. „Die Botschaft der Gestirne und des Ozeans ist freilich verschlüsselt“ (Friedhelm W. Fischer, Max Beckmann, Köln 1972, Seite 88). Ebenso wie der Bildtitel, der wohl aus einem Traum heraus entstand. Das Triptychon bietet keine „typische“ Mythologiedarstellung, eher eine archaisch-archetypische oder sogar auch allegorische mit zeitgenössischer Projektion. Auf dem linken Flügel sieht man einen Maler vor der Staffelei und eine auf abgeschlagenem Kopf sitzende Frau mit überdimensioniertem Dolch, der wie ein Schwert wirkt. Soll das Medea sein? Rechts sitzen junge Frauen beim Musizieren.

Warum erzähle ich das? — Die Antwort gibt Friedhelm W. Fischer: Der Künstler – die Rede ist, wie zu merken war, von Max Beckmann – habe „an einem Sinn des Daseins oft genug gezweifelt, aber er hielt an einer Arbeitshypothese fest. (…) in allem, was wir wahrnehmen und erleben, ist eine Botschaft verschlüsselt. (…) manchmal hat er sich auch seltsam bestätigt gefühlt in der Annahme, die Welt habe einen verborgenen Sinn.“ Fischer konstatiert, der Maler habe sich in seinem Denken und Spekulieren immer wieder in den unauflösbaren Widerspruch zwischen menschlichem Bewusstsein und grenzenlosem Universum verfangen. Und schreibt selbst in seinem Tagebuch: „Wir müssen an unendliche Beziehungen glauben, meist sinnlos für unser Denken und unentwirrbar, doch ist es sicher die einzige Möglichkeit, nicht sein Heimatgefühl im Cosmos zu verlieren.“

Die Fremde kann also überwunden werden durch Sinnlosigkeit des Denkens, das als unbeeinflussbare Nebenwirkung Heimatgefühle erzeugen kann, egal wo wir sind.

In diesem Kontext ist zu hinterfragen: Was meint Fee Fleck mit dem Titel „Medea – Die Fremde“, den sie für einen ganzen Bilderzyklus gewählt hat?

Um diese Frage zu beantworten, muss vorausgeschickt werden, dass unser Bild von Medea kaum etwas mit dem Ursprung zu tun hat. Die Medea-Saga gehört zu den Ur-Mythen und datiert fast 3.500 Jahre zurück. Über die verschiedensten Erzählstationen – von Homer, Pindar, Euripides, bis zu Ovid und Seneca und später dann Franz Grillparzer und Hanns Henny Jahnn – wird Medea bis in die Neuzeit des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich von Männern kolportiert. 1950 widmet ihr Elisabeth Langgässer einen Roman, es folgen 1963 Sylvia Plath sowie 1977 Helga Novak. 1996 erscheint nur kurz nach dem Literaturstreit und einer Verleumdungskampagne in deutschen Medien der Roman „Medea. Stimmen“ von Christa Wolf; ein Roman, der äußerst anspruchsvoll gehalten ist und weltweit ein Bestseller wird – übersetzt in 27 Sprachen – und das in Anbetracht der Ablehnung durch die deutsche Literaturkritik. Christa Wolf setzte sich beim Publikum durch und revidierte das Bild der Medea grundlegend.

Kurz danach, 1998, wurde in Linz  der Kulturverein Medea von der Medienpädagogin und bildenden Künstlerin Andrea Reisinger gegründet. Die Zielsetzung lautet: „Initiative Medienarbeit und Integration in neue Felder der Kunst. Medea verstehe Kunst als Bearbeitung gesellschaftlicher Oberflächen, die von konkreten Menschen gebildet werden. — Insgesamt gibt es bis dato über 300 künstlerische Bearbeitungen der Medea.

Wie die Berliner Literaturwissenschaftlerin Inge Stephan in ihrem lesenswerten Buch „Medea – Multimediale Karriere einer mythologischen Figur“, aus dem Jahre 2006 schreibt, beschäftigen sich seit der Nachkriegszeit, also ab 1945, Frauen intensiv mit Medea. Medea ist aber nicht nur ein Literaturtopos, sondern findet Niederschlag in der Oper, im Theater, im Film (Pasolini lässt Maria Callas 1968 die Medea spielen) und in der bildenden Kunst. Hier reicht das Spektrum von Meistern wie Th. Géricault und Eug. Delacroix über Anselm Feuerbach im 19. Jahrhundert. Andere Künstlergrößen der Moderne folgten. Inge Stephan attestiert Männern wie Max Beckmann und in der Folge auch Anselm Kiefer, dass sie in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit der Argonauten-Saga zwar großartige Kunstwerke schufen, die Medea aber nur als weibliche Staffage einsetzen, um den Helden Jason und die mit ihm verbundenen Geschehnisse überhöhen und optimal in Szene setzen zu können.

Für Künstlerpersönlichkeiten mit überwiegend männlichen Genen ist Medea eine Gestalt, die Männern Furcht einflösst und Schrecken verbreitet; bei der man gerne auf Klischeevorstellungen zurückgreift und Medea als grausame Gattin, Giftmischerin/Hexe und sogar als Bruder- und Kindsmörderin darstellt. Nicht jedem gelingt dies so eindrücklich und vorurteilsfrei wie Lars von Trier in seinem Medea-Film von 1988, nach dem Buch von Carl Theoder Dreyer und Preben Thomsen auf Basis der Schilderung des Euripides. Ausschnitte des Films finden sich auf YouTube. Der TV-Kultursender Arte sendete wohl 2005 den ganzen Film. In der Ankündigung/Dokumentation heisst es:

Medea, die Zauberin, hilft Jason, das Goldene Vlies zu rauben, das ihr Vater in Besitz hat. Anschließend flieht sie mit ihm. Halb göttliche, halb menschliche Heroine schenkt sie Jason ihre bedingungslose Liebe und tötet sogar den eigenen Bruder, um den sie verfolgenden Vater aufzuhalten. In Korinth finden die beiden mit ihren Söhnen eine neue Heimat – bis Jason Medea verläßt und sich mit Glauke, der Tochter von König Kreon, vermählt. Medea soll mit den Kindern das Land verlassen, denn Jason fürchtet die Rache der Barbarin, die nur die Gewalt, nicht aber das Gesetz kenne. Medea überlistet Jason und vergiftet aus Schmerz über seinen Verrat an ihrer Liebe nicht nur Glauke und Kreon, sondern tötet auch die gemeinsamen Kinder.

Die filmische Adaptation von Carl Theodor Dreyer und Lars von Trier folgt eng der klassischen Tragödie. Eigentlicher Protagonist des Films aber ist die Natur des Nordens: Seelenlandschaften der Einsamkeit, der Düsternis und Verzweiflung. Medea, deren Element das Wasser ist, führt ihre Klage vor einem verhangenen weiten Himmel. Aus dem Nebel taucht sie vor Kreon auf, im Regen begegnet sie Jason. Feuer brennen in unterirdischen Verliesen und erleuchten Kreons Palast wie einen Vorhof zur Unterwelt. Immer wieder brausen Windböen über eine menschenleere Küstenlandschaft, treiben die Geschehnisse unwiederbringlich weiter, bis zuletzt Medeas schwarzer Schleier im Wind auffliegt und Jason leblos auf der Erde liegt. Zwei Schiffe, ein paar Pferde und Hunde, Schwärme von Vögeln über langen Einstellungen von Wolken und Wasser – aus diesen Elementen erschafft Lars von Trier eine archaische Welt. Sein Film ist weit mehr als eine Umsetzung der Handlung in Bilder – er visualisiert die Kraft des Mythos.“

Soweit die Beschreibung des TV-Senders Arte.

Wie gesagt, das Stimmungsbild das Lars von Trier geschaffen hat, ist eindrucksvoll. Er adapiert aber uneingeschränkt das von Männern kolportierte Bild einer Medea, die es so nicht gegeben haben kann.

Die erwähnte Schriftstellerin Christa Wolf hat fast detektivisch-akribisch im Austausch mit Wissenschaftlern und Kennern das überkommene Medea-Bild analysiert, rekonstruiert und neu formuliert.  Das ambivalente Bezugsfeld, das sich mit Medea aufbaut, ist ebenso reichhaltig wie polarisierend: Leidenschaft und Liebe, Mord, Intrige, heilende Zauberei, Fürsorge, Hoffnung und Zweifel, Flucht und Aufbruch, kurzum alle Sonnen- und Schattenseiten des Daseins werden angesprochen, auf persönlicher wie auf gesellschaftlicher und politischer Ebene. Das der Medea unterstellte Gewaltpotenzial, dem Männer nichts entgegenzusetzen haben, provoziert sich in einer Tabuisierung: Medea als Zauberin, als Intellektuelle, als Heilkundige, als Mutter, als Politikversierte und als Frau, die Schuld auf sich nimmt, durchläuft in ihrer Rezeptionsgeschichte einen extremen Wandel. Zur Erinnerung: Der Medea-Mythos gehört zu den „Urtexten der Zivilisation“, wie Inge Stephan es nennt. Und schreibt weiter: „Als umstrittene Täterin und maßlos gedemütigtes Opfer erinnert sie an die Dunklen, tabuisierten Seiten des Eros und der Mutterliebe und rührt an die zerstörerischen Impulse, die im Verlauf des Zivilisationsprozesses nur mühsam humanitär oder christlich übertüncht worden sind.“ Wie Odysseus- oder Ödipus-Mythos schaffe Medea ein „blutiges Erbe“, das nicht zuletzt deshalb so schwer anzunehmen sei, „weil Medea eine Frau ist und als Täterin die Ordnung der Geschlechter fundamental in Frage stellt.“

„Medea – Die Fremde“ ist in der Wahrnehmung von Fee Fleck Täter und Opfer in einem. Auf ihre eigene Art und Weise, inspiriert vor allem durch Christa Wolf, aber auch kritisch wachsam das beeindruckende Opern-Werk von Aribert Reimann reflektierend, entwirft Fee Fleck ihr ganz eigenes Medea-Szenario. Nebenbei: Wir hörten Aribert Reimanns Medea-Musik kurz, dank an den Schott Musikverlag in Mainz. Der Uraufführung der Reimann-Oper am 28. Febr. 2010 in der Wiener Staatsoper wohnte Fee Fleck persönlich bei, in Reihe 7 auf Platz 12!

Reimann vertonte Medea als ein „Doppeldeutiges Wesen“, das ihn in der Komposition drei Jahre lang beschäftigte, eine Zeit in der er der Welt fast abhanden gekommen ist, wie er sagt, als sein schwierigstes Werk, das sein ganzes Fühlen und Denken in Anspruch nahm, bis hin zur völligen Erschöpfung.

Fee Fleck goutiert Reimann voller Demut und Anerkennung. Ihr Medea-Szenario, das in der Konzeption im Jahr 2009, also noch vor Reimanns Partitur-Fertigstellung begann und bis dato 8 von 10 geplanten großformatige Gemälde umfasst, geht aber ganz andere Wege.

Fee Fleck schuf Medea-Bildwerke, die an Frische, Originalität und Kraft kaum zu übertreffen sind. Und die sich so deutlich in Inhalt und Themenwahl von anderen Bildwerken unterscheiden.

Man fragt sich, wie dies das Werk einer nunmehr 80jährigen Künstlerin sein kann, längst selbst schon Mutter und Großmutter. Wer Fee Flecks „Tafelbilder für Ingeborg-Bachmann“ durch die Ausstellung hier im Landesmuseum in Mainz aus dem Herbst 2007 kennt, kann eine Vorahnung entwickeln und ist auf das Medea-Szenario vorbereitet. Die Journalistin Rebecca Wilhelm urteilte damals in der Mainzer Allgemeinen Zeitung: „Starke Farben für die Dichterin“: (…) In zwölf großformatigen Tafelbildern in ausdrucksstarken Farben und kalligrafischen Elementen interpretierte die Mainzer Künstlerin Arbeit und Leben der Dichterin.“ Anlass der Ausstellung vor fast 5 Jahren war der 80. Geburtstag Ingeborg Bachmanns. Bachmanns Männerbeziehungen kamen zur Sprache, wie der Zeitungsbericht anmerkt, geprägt von Liebe, Sehnsucht, Tod. „Bachmanns Liebesverhältnis zum Lyriker Paul Celan gestaltete Fee Fleck positiv hell, die tragische Beziehung zu Schriftsteller Uwe Johnson in schwarzen Tönen“. (Quelle: Allgemeine Zeitung vom 15. September 2007).

Wie auch damals bei den Bachmann-Tafelbildern bereitete Fee Fleck ihr Medea-Szenario exakt und planmäßig vor.  Ein wunderbares, reichhaltiges Arbeitsbuch – das in der Ausstellung in Vitrinen ausliegt – kombiniert Bildentwürfe und Textnotizen. Fee Fleck hat nicht nur einen Plan entwickelt, sondern eine bis ins kleinste Detail durchdachte Programmatik. Zwischengestreut im Medea-Arbeitsbuch findet man Notizzettel mit Gedankenimpulsen, die ad hoc entstanden – meist in der Nacht. Als Regieanweisung ist notiert, welches der acht Bilder/Themen in der Gemälde-Fassung als Hoch- oder Querformat angelegt werden muss. Naturgemäß gibt es Entwicklungen und damit Abweichungen von der Skizze zum fertigen Gemälde. Dies lohnt sich, in Ruhe nachzuvollziehen. Ebenso die Gedanken, die Fee Fleck wie kurze Essays niederschrieb, um die inhaltliche Leitlinie präzise zu erfassen und dadurch ganz befreit den Malprozess gestalten zu können. Ihr Medea-Szenario wird dadurch verdichtet, fokussiert, aber gleichzeitig völlig entkrampft und vielfältig. Den roten Faden in ihrer vielschichtigen Medea-Interpretation verliert Fee Fleck dabei nicht. Und das obgleich die acht Bilder jedes für sich individuell angelegt sind. Es gibt keine durchgängige Gestaltungslinie oder einen Gestaltungsrahmen – etwa wie bei Bilderserien des Barock – speziell bei Peter Paul Rubens.

Fee Flecks Medea-Gemälde verbreiten Stille, aber keinesfalls Ruhe. Sie sprengen sämtliche Klischees, wie wir sie noch aus dem Schulunterricht kennen. Ich bin sicher, mancher „Alterthums“-Oberstudienrat und Bildungsbürger wird entsetzt oder zumindest verstört sein. Ich sage nur: Gut so! Und ich sage: Bravo, Bravissimo, liebe Fee Fleck, dass Sie uns mit Ihrer Kreativität, Erfahrung, Bildung, menschlichen Größe und vor allem Ihrem Talent neue Wahrnehmungsmöglichkeiten eröffnen.

Meine Empfehlung: Es lohnt sich für alle von uns, die Fee Flecks Medea-Szenario betrachten, dies eher in Form einer Meditation zu tun, als in einer klassisch kunsthistorisch „verbildeten“ Herangehensweise. Wir brauchen neue Dimensionen einer Hermeneutik, die dem Prinzip folgen: Wir können uns als Menschheit, gerade wenn und weil wir uns als kultiviert und zivilisiert empfinden, nicht von unserer Geschichte und unserer Schuld befreien. Das, was Medea ausmacht, und das, was mit Medea geschah, ruht in uns allen. Unauslöschlich und kaum unterdrückbar. Ebenso steht Medea für einen Werte-Canon, der sich nie und nimmer ändert. Wer in diesen modernen Zeiten vom Wertewandel spricht, hat nicht verstanden oder begriffen, worum es geht. Ein Wert ist ein Wert und kann sich nicht ändern. Was sich ändert ist die Einstellung zu Werten, die uns als Menschheit ausmachen. Und mit den Konsequenzen aus dieser eigenen Um-Bewertung vom Wert zur Entwertung müssen wir klarkommen. Oder anders: Medea ist Medea. Und: Fee Fleck ist Fee Fleck.

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Fee Fleck kurz vor der Ausstellungseröffnung im Landesmuseum Mainz. Foto: Andreas Weber

Fee Fleck redet oder malt oder zeichnet oder filmt oder inszeniert uns die Welt eben nicht schöner oder schrecklicher als sie ist. Fee Fleck ist von Künstlern der Romantik ebenso weit entfernt wie von Hieronymus Bosch oder Matthias Grünewald. Selbst wenn ihr stilistisches Repertoire, ihre Ausdrucksweise als Malerin als äußerst modern bezeichnet würde, hat Fee Fleck mit dem Zeitgeist nichts zu tun. Zeitgeist ist immer opportunistisch – oder wie mein Vater Prof. Wilhelm Weber gerne sagte: „Wer heute den Zeitgeist heiratet, ist morgen schon Witwer.“ Fee Fleck steht für das Wahrhaftige, für Aufrichtigkeit und Ehrlichsein.

So erklären sich ihre Themen: Vor der Medea entstand das Filmwerk über die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Katinka Zitz, die sonst vergessen oder besser: verdrängt wäre. Hinzu kommen die Werke/Installationen über Autowracks und Flugzeugwracks, die Wüste in Arizona, die Installation „Gegen den Krieg“ in der Unterhaus Entree-Galerie der Stadt Mainz oder aber das Projekt „Warschauer Aufstand“. Vieles andere aus dem Wirken und Werken von Fee Fleck lässt sich aufzählen und in Erinnerung rufen, bis hin zur Mitgliedschaft bei „Gegen vergessen für Demokratie“ Rheinland-Pfalz oder die Mitgliedschaft im Kunstbeirat der Gedenkstätte Osthofen. Nicht zuletzt lebt und arbeitet Fee Fleck in einer aussergewöhnlichen Wohnetage in der Mainzer Walpodenstrasse in einem Haus, das eine Gedenktafel trägt, mit der Aufschrift:

„Historisches Mainz

Gedenken

Mahnen

Handeln

Dieses Haus wurde 1938 nach dem November-Pogrom von den Nationalsozialisten zu einem der „Judenhäuser“ deklariert.

35 jüdische Kinder, Frauen und Männer wurden von hier aus vom 20. März bis 30. September 1942 deportiert und ermordet.“

An einem solchen Ort zu wohnen und zu arbeiten ist für mich persönlich als Nachkriegskind und somit Spätgeborener bewundernswert in der Reflektion dessen, wie Fee Fleck mit unserer und damit auch ihrer Geschichte, ihren eigenen Erfahrungen (sie wurde mit Mutter und Schwestern 1944 in das Lager Radom deportiert und 1945 von russischen Truppen befreit). In tiefer Demut und mit allem Respekt darf ich mich vor einer so großen Frau und Künstlerin verbeugen. Und gleichzeitig schelmisch hinterfragen: Wie lautet nochmals der Titel der heutigen Ausstellung?

Fee Fleck: Medea – Die Fremde.

Stimmt das? Oder könnte es lauten:

Fee Fleck – die Medea?

Fee Fleck – die Fremde?

Urteilen Sie selbst. Meine Sichtweise und sicher die vieler anderer lautet: Fee Fleck ist ein durch und durch politischer, mitdenkender, mitgestaltender und sozial- wie emotional verantwortlich handelnder und denkender kritischer Geist. Ohne dabei dogmatisch, besserwisserisch oder bevormundend zu sein. Die Künstlerin befreit uns aber nicht von der hohen Eigenverantwortung, über unser Tun und dessen Konsequenzen nachzudenken und der Forderung nachzukommen, Korrekturen vorzunehmen, sobald wir Fehler erkennen. Dies manifestiert sich im Medea-Szenario auf das Wunderbarste. Vor allem im Gemälde „Gier“, das sich auf das goldenen Vlies und seinen Missbrauch in Kolchis oder die maßlose Habgier in Korinth genauso beziehen kann wie auf die aktuelle Finanzkrise und den Habitus eines Hedgefonds- oder Investment-Banking-Schurken.

Fee Fleck wählt mit dem Medea-Thema einen Topos, der weit, sehr weit zurück ragt in die Geschichte und trotz allem so aktuell ist wie kaum etwas anderes. Dies mag der Beweggrund sein, weshalb Fee Fleck Christa Wolf verehrt und ihren Roman „Medea. Stimmen“ so sehr schätzt. Christa Wolf hatte die Chuzpe, den von Männern umbewerten Medea-Mythos quasi „zurückzubewerten“, in eine Art „Urzustand“ rückzuführen. Christa Wolf widmet sich der Medea, wie sie durch den Sinn ihres Namens charakterisiert wird. Medea heisst in der Namenbedeutung „die, die Rat gibt, Sorge trägt, waltet“. Oder wie Christa Wolf es umschreibt: „Die guten Rat Wissende, die Heilerin“. Prinzipiell völlig ohne Belang erscheint mir, ob dies nun historisch-faktisch belegbar ist oder nicht. Christa Wolf hat die Medea in die Gegenwart zurückgeholt. Sie hat sie von Verleumdungen befreit. Sie hat sie zur „Bewältigungsfigur“ entwickelt. Sie hat ihre menschliche, gesellschaftliche und politische Dimension neu eröffnet. Eine solche Figur weist alle nachfolgenden Frauenidole in die Schranken oder auf die Plätze. Und schüttelt jegliche Verklärung oder Idealisierung ab. Gerade auch in Bezug auf christliche Frauengestalten bis hin zur Jungfrau-Mutter Maria…

Aber Vorsicht, meine Damen und Herren, bitte beachten: Fee Flecks Medea-Szenario ist in keinerlei Weise als Illustration zum Buch von Christa Wolf gedacht. Fee Fleck fühlt sich dem Esprit, der Literaturkunst und wie erwähnt der Chuzpe von Christa Wolf innig verbunden. Ihr verdankt Fee Fleck wichtige Impulse. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Fee Fleck beschäftigt natürlich auch das Bezugsfeld „Frauenbewegung“, sprich die Medea-Entwürfe in feministischen Diskursen. Die bereits zitierte Literaturwissenschaftlerin Inge Stephan widmet diesem Bezugsfeld ein lesenswertes Kapitel in ihrem Medea-Buch. Und präsentiert als Motto ein Zitat der „Penthesileia“, einem Frauenbrevier für Männerfeindliche Stunden von 1907. Ich zitiere: „Sag mir, Medea, war Jason nicht eigentlich zu unbedeutend, um deiner Rache würdig zu sein? Aber ich vergaß, Du liebtest ihn noch. Die Liebe einer bedeutenden Frau gibt einem mittelmäßigen Manne immer noch soviel Gewicht, daß ihre Rache an ihm sie nicht lächerlich macht.“

Auch das sind „Medea.Stimmen“. Und für uns wichtige Bezüge. Denn Penthesilea, die sagenumwobene Amazonenkönigin, konterkariert die männliche, vorherrschende Vorstellungswelt von Frau-Sein und Weiblichkeit. Die Rezeptionsgeschichte der Penthesiliea ist übrigens ebenso männlich dominiert und umgestaltet wie die der Medea. Wäre da nicht Heinrich von Kleist, der sich um das Jahr 1800 mit alten Überlieferungen beschäftigt. Und – wie später Christa Wolf – den Mythos umdeutet bzw. eine Variante aufgreift, die aus der Antike stammt, sich aber nicht durchsetzte: Nicht Achill besiegt Penthesilea im Kampf und verliebt sich in dem Moment unsterblich, als er sie schon tödlich verletzt hatte. Nein, Kleist greift die Version auf, in der Achill hörte, die schöne Amazonen-Königin könne sich nur in denjenigen verlieben, den sie persönlich im Kampf besiegt und unterworfen hat. Zum Schein geht er darauf ein, flammender Liebe folgt die Tragödie, als Penthesilea den Schwindel enttarnt. Sie tötet darauf hin Achill und zerfleischt ihn gemeinsam mit ihren Hunden.

Anzumerken ist, dass dieser Bezug Medea/Penthesilea und Kleist/Wolf bislang noch nicht in die Rezeptionsbetrachtung eingeflossen ist. Das bleibt noch zu tun. Zumal Kleist damals wohl auch bei Männern Angst und Schrecken provozierte, was J.W. von Goethe veranlasste, Kleist abzuurteilen. Die Kleist‘sche Penthesilea wurde von Goethe wie mit einem Bannstrahl behaftet und war nach Erscheinen des Dramas im Jahr 1808 als Theaterstück für rund drei Generationen tabu.

Es gibt ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Penthesilea- und Medea-Mythos: Beide Mythen zehren von dem Verlust matriarchalischer Ordnungsprinzipien, die fast 100.000 Jahre lang die Menschheit in ihrer Frühgeschichte zur Entwicklung brachten. Die Amazonen sind der Gegenentwurf zur Männerherrschaft und Medea deckt auf, was in ihrer Heimat Kolchis ebenso feststellbar war, wie an ihrem Fluchtort Korinth: Die Männerherrschaft brauchte die Unterdrückung der Frau, um jeden Preis. Reglements, Gewalt, Verleumdung, Mord und Totschlag, jedes Mittel war recht. Die Entwicklung der männlichen Repressalien (nicht nur Frauen gegenüber, sondern generell anders denkenden und anders artigen Menschen) hat sich über die klassische Antike bis in die Christenzeit erhalten. Und wurde in den Schriften manifestiert. Christa Wolf spricht dies unter anderem an, indem sie in einem Interview sagte: „Ich begann 1990/1991 mich mit der Medea-Figur auseinanderzusetzen. Es zeigte sich mir in jenen Jahren, dass unsere Kultur, wenn sie in Krisen gerät, immer wieder in die gleichen Verhaltensmuster zurückfällt: Menschen auszugrenzen, sie zu Sündenböcken zu machen, Feindbilder zu züchten, bis hin zu wahnhafter Realitätsverkennung.“ (zitiert nach Inge Stephan, Seite 154f). Christa Wolf nimmt dann Bezug auf die von ihr nicht gutgeheissene Eingliederung der DDR in die BRD und die entstandene Abwehrhaltung. Und fährt fort: „Diese Ausgrenzung des Fremden zieht sich durch die ganze Geschichte unserer Kultur. Immer schon vorhanden ist die Ausgrenzung des angstmachenden weiblichen Elements.“  Dazu gehört vor allem die Figur der Lilith, der ersten Frau des Adam, die, von den biblischen Überlieferungen quasi ausgeklammert, weil sie dem Adam nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen war, in den alten sumerischen und jüdischen Überlieferungen aber eine wichtige Rolle spielte. Lilith verkörpert eine der Medea im Wolf‘schen und Fleck‘schen Sinne verwandte Seele.

Der Diskurs über das Fremde wird auch in jüdischen Medeen von Berthold Brecht und George Tabori fassbar. Beide entwerfen Medea als jüdische Frau.

Brecht verfasste das Gedicht „Die Medea von Lodz“

Da ist eine alte Märe

Von einer Frau, Medea genannt

Die kam vor tausend Jahren

An einen fremden Strand.

Der Mann, der sie liebte

Brachte sie dorthin.

Er sagte: Du bist zu Hause

Wo ich zu Hause bin.

Sie sprach eine andere Sprache

Als die Leute dort

Für Milch und Brot und Liebe

Hatten sie ein anderes Wort.

Sie hatte andere Haare

Und ging ein anderes Gehn

Ist nie dort heimisch geworden

Wurde scheel angesehn.

Wie es mit ihr gegangen

Erzählt der Euripides

Seine mächtigen Chöre singen

Von einem vergilbten Prozeß.

Nur der Wind geht noch über die Trümmer

Der ungastlichen Stadt

Und Staub sind die Stein, mit denen

Sie die Fremde gesteinigt hat.

Da hören wir mit einem mal

Jetzt die Rede gehn

Es würden in unseren Städten

Von neuem Medeen gesehn.

Zwischen Tram und Auto und Hochbahn

Wird das alte Geschrei geschrien

1934

In unserer Stadt Berlin.

Das Fremde, so Inge Stephan (Seite 69), wird „stets als das sexuell und/oder ethnisch andere konnotiert. Sexismus und Rassismus bilden von jeher das Koordinatennetz, in das die Phantasien der Autoren und Autorinnen eingelassen sind. Medea wird farbig, mal Zigeunerin, mal Asiatin, mal Osteuropäerin, mal Afrikanerin.

 

 

Resümee und Ausblick

Das Szenario „Fee Fleck: Media – die Fremde“, das uns die Künstlerin präsentiert, erfasst Medea in allen ihren Facetten und Bedeutungsebenen. Aus heutiger Sicht gesehen, eröffnet die Bedeutung der Medea-Geschichte vier große Konfliktfelder, die durch Medea als Person verkörpert werden:

Identifikationsfigur des Geschlechterkampfs (seit 1968 im Kontext mit den Emanzipationsbewegungen)

Bewältigungsfigur zur Lösung der Krise in Familie und Politik (Schuldfrage, Matriarchat)

Projektionsfigur bei Rassismus und ethnischen Debatten

Reflexionsfigur in der Bewältigung von Gewalt und Auseinandersetzungen

Medea als Reflexionsfigur hat aktuell wohl den stärksten Bezug zu unserer „modernen“ Kulturwicklung. Inge Stephan sei dazu abschließend zitiert (Seite 4f):

„Die Frage nach der Legitimität von Gewalt stellt sich im Falle von Medea in besonderer Schärfe, da sie mit ihren [den ihr unterstellten, Anm. des Autors] Taten in archaische Praktiken der Blutrache und des Menschenopfers zurückfällt, die in den politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart eine bestürzende Aktualität gewonnen haben.“

Das Thema „Medea – die Fremde“ kann von Fee Fleck nicht zufällig gewählt worden sein, um heute, kurz nach ihrem 80. Geburtstag, uns hier im Landesmuseum in Mainz präsentiert zu werden. Die Künstlerin legt – bei allem Charme, der ihr innewohnt, und aller Freundlichkeit im Wesen – gerne den Finger in die offene Wunde.

Ihr Auftrag als bedeutende Künstlerin ist es wie gesagt unsere Wahrnehmung zu wecken und zu schärfen. Erst die Wahrnehmung ermöglicht das Streben nach der Sinnhaftigkeit unseres Tuns. Dies gestaltet sich als Prozess, den Fee Fleck hier und heute initiiert. In diesem Sinn ist die heutige Ausstellungseröffnung nicht der Endpunkt, sondern der Beginn von etwas, was uns noch bevorsteht: Die Auseinandersetzung mit uns Menschen als Wesen, die vermutlich allzu lange „kulturentwicklungshörig“ glaubten, die Dinge würden besser, weil wir (angeblich) zivilisierter und kultivierter werden. Doch wie soll das gehen, wenn wir willkürlich agieren? Wenn wir unsere Geschichte manipulieren resp. so auslegen, wie es Strategie und Taktik unseres gegenwärtigen und geplanten Tuns aus subjektiver Sicht erfordern?

Unsere Schuld, unser Falschtun werden wir dadurch nicht los. Und die Welt wird keinesfalls besser. Lassen wir uns also auf den Dialog ein, den Fee Fleck mit ihrem Medea-Szenario mit uns und für uns eröffnet.

Denn Fee Fleck wäre nicht Fee Fleck, würde sie nicht diesen Dialog suchen. Der Ausstellung ist ein wichtiges Momentum vorausgegangen. Der Entschluss von Fee Fleck, sich im Rahmen ihres Medea-Szenarios mit Christa Wolf in Verbindung zu setzen. Fee Fleck musste sich, wie sie sagt, einiges trauen. Deutsch, das sie perfekt beherrscht, ist nicht ihre Muttersprache. Sie wollte und hat aber einen Brief an Christa Wolf in deutscher Sprache verfasst, den ich Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, gerne kurz vorlesen möchte, um anschließend mit der Künstlerin darüber und über ihre künstlerische Intention und Auffassung zu sprechen.

Am 4. Oktober 2011 schrieb Fee Fleck an Christa Wolf (nicht wissend, was kommen wird, und dass Christa Wolf am 1. Dezember 2011 von uns gehen würde, weshalb der Brief ohne Antwort blieb):

4. Oktober 2011

Sehr verehrte, liebe Christa Wolf,

was für ein Unterfangen, sich mit menschlichen Unzulänglichkeiten bildnerisch auseinanderzusetzen. Ich habe es gewagt, aber nur mit Ihrer Hilfe. Der Weg war lang.

Zaghaft habe ich mich mit Euripides, Seneca und vielen anderen auseinandergesetzt, doch Ihre „Medea. Stimmen“ haben mich gefangen genommen. Explosionsartig habe ich die einzelnen Stimmen wie Medea, Jason, Akamas, Presbon, Oistros und andere in mein Arbeitsbuch aufgenommen und meine Intentionen skizziert.

Aus meinem Arbeitsbuch:

Wie verhält sich eine Fremde? Wann war ich eine Fremde? Es ist ein Ohnmachtsgefühl, wenn man sich dessen bewusst wird. 

Ich kann mich nicht erinnern einmal Medea gewesen zu sein, stark in der Finsternis. Wird es für mich eine Offenbarung? Ich bekomme Angst. Was muß sein, was darf nicht sein!

Wann werde ich es wissen, während ich hier schreibe, wenn ich nachts alles überdenke, oder wenn der Prozess auf der Leinwand beginnt? Das wird ein Kampf.

Zehn Aussagen sollte der Zyklus haben, bis dato sind es vier.

Der Malprozess begann mit dem Bild „Symbiose“. Das Bild „Gerücht“ ist eine wichtige Begründung für den ganzen Zyklus „Medea – Die Fremde“, hier entwickelt sich die große Tragödie bis zum Endpunkt des Bildes „Universum“.

Nicht nur die geistige, sondern auch die praktische Auseinandersetzung wie Farbe, Leinwand, Größe, Hochformat, Querformat ist eine wichtige Entscheidung. Mit der Farbe kann ich intensiv umgehen, hier ist mein Wissen gefordert.

Verehrte, liebe Christa Wolf, ein kleiner Überblick meiner Arbeit „Medea – Die Fremde“. Sobald der Zyklus beendet ist, werde ich Ihnen weiteres Material senden.

Ihre Fee Fleck

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Weitere Informationen im exklusiven, kostenfrei erhältlichen iBook auf Apple iTunes:

https://itunes.apple.com/de/book/medea/id561925330?mt=11

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