ValueDialog: Transformation hits Print Technology + Innovation

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Exklusiv-Interview mit Dr. Ulrich Hermann, Chief Digital Officer, Mitglied im Vorstand der Heidelberger Druckmaschinen AG

Interview: Andreas Weber, Head of Value | English Version

Im ValueDialog geht es um das Thema Transformation der Branche. Es wird näher beleuchtet, welche neuen Wege Heidelberg zu beschreiten hat.

In der deutschen Industriegeschichte ist es eigentlich eine Sensation: Ein im 19. Jahrhundert gegründetes Maschinenbauunternehmen ‚gönnt‘ sich auf Vorstandsebene einen „Chief Digital Officer“. So geschehen im November 2016 bei Heidelberger Druckmaschinen AG durch die Berufung von Dr. Ulrich Hermann, der den Unternehmensbereich ‚Digital Services‘ leitet. Seine anspruchsvolle Aufgabe: Die zentrale Leitidee ‚Heidelberg goes digital‘ inhaltlich und operativ nicht nur im Markt und bei Kunden erfahrbar zu machen, sondern auch bei Mitarbeitern Akzeptanz zu schaffen für das, was sich ändern muss, um Bestand zu haben und nachhaltig profitabel zu wachsen.

Soviel vorweg: Wie durch die ValueTrend-Analysen seit der drupa 2016 umfassend dokumentiert, hat sich das Blatt bei Heidelberger Druckmaschinen AG (Kurzform: Heideldruck) zum Guten gewendet, um wieder der Leuchtturm der Printbranche sein zu können. Das Unternehmen konnte in die Gewinn- und Wachstumsphase zurückkehren. Das Produkt- und Leistungsportfolio hat sich signifikant erweitert. Die Konzernstrukturen wurden verändert. Anleger und Finanzexperten honorieren die Trendwende und die in Aussicht gestellten Wachstumsperspektiven. Die Heideldruck-Aktie ist im Aufwind und die Empfehlungen sind auf „Buy“ gesetzt. 

In medias res: Dr. Ulrich Hermann macht aber keinen Hehl daraus, dass sich die Zukunft und vor allem der künftige Erfolg von Heideldruck an radikal neuen Maßstäben orientieren müssen. Die Zahl der Druckereibetriebe ist ebenso rückläufig wie die Zahl der verkaufbaren Druckwerke bei den Druckmaschinen — letzteres bis dato stets das Maß aller Dinge. Dr. Hermann sieht aber gerade in diesen Veränderungen, v. a. in der Wende zum ‚Digitalen‘ bei den Geschäfts- wie den Produktionsprozessen großes Potential für Heideldruck und seine Kunden. Gerade auch in Fällen, wo das wirtschaftliche Umfeld, der Konkurrenzdruck oder die Investitionsmöglichkeiten anscheinend eingeschränkt sind.

In aller Kürze: Welche Bedeutung hat ’Heidelberg goes digital’ für die Branche? 

Dr. Ulrich Hermann: „Digital“ meint im Claim nicht das digitale Druckverfahren, sondern das digitale Geschäftsmodell: Wir fragen uns weniger, was das Produkt können soll, sondern vielmehr was die Kunden mit dem Produkt genau machen! — ‚Digital‘ gesprochen sollen unsere Lösungen — das sind Software, Daten und digitale Technologien — unseren Kunden helfen, ihre eigene digitale Transformation zu meistern.

Im Detail: Warum macht es Sinn für die globale Print Community sich auf die ‚digitale Transformations-Reise‘ zu begeben?

Dr. Ulrich Hermann: Die ‚digitale‘ Welt bietet ein enormes Potential für die Druckindustrie, das bislang nur wenig erschlossen ist. Da ist zuallererst die Adaption von Digitaldrucktechnik im industriellen Druck, um auf zeitgemäßes Konsumentenverhalten, beispielsweise dem Trend zu mehr Individualisierung und kleineren Auflagen, zu reagieren.

Druckereien müssen entsprechend ihr Portfolio und Produktangebot differenzieren, um Preise stabil zu halten und nicht in die ‚Commodity-Falle‘ zu stolpern. Gleichzeitig muss aber auf industriellem Niveau die Produktivität hoch bleiben. Das geht nur, indem alle Komponenten digital verlinkt werden: Die Maschinen, die Prozesse für Verbrauchsmaterialien, der Service, die Software und letztlich Daten, die eine systematische Nutzung bei steigender Komplexität ermöglichen. So kann Produktivität und Qualität in leistungsstarken und innovativen Druckereibetrieben auf höchstem Niveau gewährleistet werden, bei gleichzeitig voller Flexibilität, um den sich rasch ändernden Kundenanforderungen und Nachfragen in einem starken Wettbewerbsumfeld gerecht zu werden.

Transformation wird gleichgesetzt mit hohen Investitionen. Viele scheuen das Risiko. Sehen Sie das auch so? Oder bietet sich ein smarter Weg, um sich zu transformieren?

Dr. Ulrich Hermann: Definitiv gibt es einen smarten Weg. Wir empfehlen, Schritt für Schritt vorzugehen. Unsere Kunden können quasi mit einem produktiven Kern starten, der eine Kombination von Lösungsmodulen erlaubt. Unsere Geschäftsmodelle bieten innovativen und wachsenden Kunden die Möglichkeiten, ihre Investitionen dort zu allokieren, wo sie am wichtigsten sind: an ihrer Kundenschnittstelle und nicht wie in der Vergangenheit vorwiegend im Produktionssaal. Damit schaffen wir gemeinsam mit dem Kunden Wettbewerbsfähigkeit. Heidelberg maximiert mit einem autonomen digitalen Produktionssystem die Effizienz und kompensiert Auftragszyklen des Druckbetriebes. Der Kunde kann sich verstärkt um den Ausbau seines Kundenstammes kümmern und in den Ausbau seines digitalen Vertriebsweges investieren. Wir teilen letztendlich die Chancen und Risiken mit unseren Kunden.

Das heisst, die Rolle von Heideldruck hat sich geändert: Es geht nicht mehr um reine Druckmaschinenverkäufe, sondern um Lösungspartnerschaften von Heideldruck mit seinen Kunden?

Dr. Ulrich Hermann: Ganz genau. Wir betrachten zunächst gründlich das Geschäftsmodell unserer Kunden, die Kundenauftragsstruktur und bringen dann unsere Ideen und reichhaltige Erfahrungen ein. Daneben analysieren wir exakt den Status und die Entwicklungsmöglichkeiten des Produktivitätslevels, um kundenindividuell eine digitalisierte und hochproduktive Lösungen zu etablieren — ohne dabei über-investieren zu müssen. Dieser Schritt-für-Schritt-Prozess, den Heidelberg entwickelt hat, ist wirklich einzigartig.

Zwischenbilanz — Das Ziel kann nur sein: Mittel- und langfristig radikal Neues etablieren!

Aus einem traditionsreichen Maschinenbauunternehmen wie Heideldruck eine ‚digital company‘ zu machen, ähnelt auf den ersten Blick der Quadratur des Kreises. Zumal es um Drucksachenherstellung geht, also eine unabänderbar analoge Erscheinungsform der Medien. Und doch erscheint es machbar. Wenn man sich davon verabschiedet, zu hohe Erwartungen zu schnell erfüllt haben zu wollen. Insofern ist das oben Gesagte von Dr. Ulrich Hermann und sein ganzheitlicher Ansatz wichtig: Schritt für Schritt sich mit Kunden weiterzuentwickeln, aber stets im Bewusstsein, dass letztlich kaum ein Stein auf dem anderen bleiben wird. Es erscheint darum logisch, zunächst lineare Transformationsmöglichkeiten anzugehen (um Bestehendes zu optimieren), um ab einem gewissen Momentum exponentielle Transformationswege zu beschreiten, damit radikal Neues etabliert werden kann. [Hinweis: Sie hierzu das separate Angebot an ValueWebinars.]

Bedenklich: Trotz aller Innovations-Kraftanstrengungen und Multi-Milliardeninvestments werden neue Printtechnologien in den Szenarien relevanter Transformations-Technologien gar nicht aufgeführt. — Quelle: Vortrag beim ABTG Kongress von Andreas Weber.

 

Wie schwierig sich Transformation im Print gestaltet, zeigt gerade der Digitaldruck-Technik-Protagonist Xerox Corp.: Trotz jahrzehntelanger Innovationsführerschaft im Print- und Document-Technologiesektor musste sich der Konzern aufspalten. Seit Januar 2017 setzte der neue CEO Jeff Jacobson auf ein Feuerwerk an Produktneuheiten, wie er gerade in einem Interview mit dem US-Magazin Fortune kundtat (siehe Bericht von Susie Gharib vom 17. August 2017). Jacobson führt Xerox quasi ‚back to the roots‘. Der Erfolg im industriellen Druck bleibt aber trotz massiver Investments und Zukäufe bis dato aus. Xerox ist in Deutschland, dem Stammland der Druckkunst, seit Jahren quasi unsichtbar. Die Marktanteile mit digitalen Druckseiten am Gesamtdruckvolumen sind marginal. Ob sich das nur durch neue Produkte ändern lässt, erscheint mir zweifelhaft.

Es muss also um weitaus mehr gehen, als nur neue Maschinen im Digitaldruck zu entwicklen und Kunden zum Kauf anregen zu wollen. Es geht vielmehr um ein grundsätzliches anderes, erweitertes  Verständnis, wie industriell aufgestellte Druckbetriebe ihre Geschäftsmodelle und ihre Geschäftsstrategien ausrichten. Heideldrucks wichtigstem Asset kommt dabei eine aus meiner Sicht ganz entscheidende Rolle bei: Die unzweifelhaft im Unternehmen vorhandene umfassende Kompetenz für Dritte verfügbar zu machen, um auf industriellem Niveau mit Print heute und morgen profitabel, markt- und zukunftsgerecht Geschäft machen zu können. 

An diesem Punkt trennt sich die Spreu vom Weizen: Die meisten Marktteilnehmer errichten sich selbst Schranken, da sie meinen, ausschließlich mit singulären, technischen Produktinnovationen ein Allheilmittel zu bieten, das Kunden zum Erfolg hilft. Dem ist mitnichten so. Das Geschäftsprinzip von Druckereien muss komplett überdacht und neu entwickelt werden. Die guten Erfolge, die im Online Print-Sektor erzielt werden, weil man im Gesamtszenario der Druckereien am ‚digitalsten’ agiert, sind dabei ein wichtiger Zwischenschritt. Aber bieten noch nicht die Lösung, die gefunden werden muss. Entscheidend wird sein, wie man Print als Medium nahtlos in den ‚Workflow‘ zeitgemäßer digitaler und mobiler Kauf- und Transaktionsszenarien einbindet. Ohne mit der Druckvorlagenherstellung und dem nach wie vor aufwändigen „Make ready“ Zeit zu verschwenden. Wir dürfen also gespannt sein. Ich bleibe am Ball.

 


 

Nachtrag: Print-Innovationen auf der IAA 2017: Heidelberg wird Partner der Automobilindustrie. Dank 4DPrinting. Siehe den ValueCheck “Von car2go zu print2go”.

 

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Daimler sorgte mit 4D-Druck von Heidelberg auf der IAA 2017 für Aufsehen. Fotos: Daimler AG sowie Andreas Weber.

 


 

Hinweis: Das Thema Transformation ist auch Gegenstand des vom brasilianischen Spitzenverband ABTG am 24. August 2017 organisierten Internationalen Kongresses in Sao Paulo, bei dem Andreas Weber in seinem Eröffnungsvortrag u.a. das Gespräch mit Dr. Hermann präsentiert und kommentiert. Hier klicken zum Preview mit den Vortragscharts in englischer Sprache.

 

ABTG Congress 24 August 2017 Andreas Weber FULL.001

ABTG Congress 24 August 2017 Andreas Weber FULL.003

3 comments
  1. Reblogged this on valuetrendradar and commented:

    Im Nachgang verifizierte Heidelberg, was Dr. Ulrich Hermann im ValueDialog strategisch angesprochen hat: „Auf der IAA 2017 in Frankfurt präsentierten wir uns als Technologieanbieter der Automobilindustrie und zeigten die individualisierte Zukunft. Die Weiterentwicklung des Digitaldrucks für die Integration in industrielle Prozesse erschließt uns neue Wachstumsmärkte. Wir haben die Kompetenz und die Technologien, die individualisierte Welt zu gestalten und unterstützen Kunden der unterschiedlichsten Branchen beim Aufbau ihrer digitalen Geschäftsmodelle“, so Dr. Ulrich Hermann, Mitglied des Vorstands und Chief Digital Officer bei Heidelberg.

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