ValueTalk! — Gutenbergs Traum. Eine wunderbar-(un)wahre Geschichte

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Diese Geschichte ist frei erfunden. Deshalb trifft sie voll und ganz zu!

 

Von Andreas Weber, Mainz

 

Unruhig wälzte er sich hin und her. Jahrhunderte in himmlischem Schlaf zu verbringen, ist auch kein leichtes Unterfangen, brummelt er missmutig vor sich hin. Umtriebig wie er auch nach fast 400 Jahren seit seiner Geburt noch war, beschloss der geniale Tüftler, auf die Erde zurück zu kehren. Ein wenig Bewegung tut gut, schummelte er, um eine Legitimation zu konstruieren, heimlich durch die knarrende Petrus-Pforte nach draussen zu gehen. Flugs kam er voran, fast zu schnell, um die rechte Orientierung zu finden. Er landete nacheinander in Prag, Wien, Heilbronn und weiter nördlich in Hanau. Und je näher er seiner Heimatregion an Rhein und Main zu kommen schien, um so neugieriger wurde er. So kam es, dort in Hanau, dass er zufällig hörte, wie sich zwei Passanten über einen geheimnisvollen Mann unterhielten, der einst als Kind kurz in ihrem Städtchen gelebt hatte und über München und andere Stationen ins benachbarte Offenbach gekommen war, um den chemischen Druck zu praktizieren. Der Himmelsflüchtling hielt inne und stammelte vor sich hin: „Ans Setzen und vor allem ans Drucken kann ich mich noch gut erinnern. Aber ich, ich habe doch alles verloren, weil die Chemie nicht stimmte, vor allem zwischen mir und diesem Fust. — Von wegen chemischer Druck.“ Beinahe ärgerlich führte er seinen Weg am Main entlang fort, um schnell zu dessen Mündung zu gelangen. Wie der Zufall so spielt, sah er Offenbach wie zwei Männer sich verabschiedeten. Der eine dynamisch, voller Tatendrang und in der Abreise begriffen, der andré vornehm und aufmerksam, dem Abreisenden gutes Geleit ins ferne London wünschend. In der Hoffnung, ihn bald wohlbehalten wieder in Offenbach sehen zu können.

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Unser Himmelsflüchtling spürte ein heftiges Ziehen im Leib, das er sich kaum erklären konnte. Ach, wahrscheinlich immer noch diese Chemie mit ihren Nachwirkungen, schimpfte er, als er an Höchst vorbeieilte. Und schon kam er in seiner Heimatstadt an, direkt an der Mündung des Mains in den Schoß von Vater Rhein. Voller Wonne dachte er: Na, die werden aber überrascht sein und mir sicherlich einen freudigen Empfang bereiten. PUSTEKUCHEN. Kein Mensch erkannte ihn. Die Stadt war völlig desolat, sein Geburtshaus stand nicht mehr. Erst haben die Franzosen und dann die Deutschen bei der Rückeroberung im Revolutionskrieg alles in Schutt und Asche gelegt. Ziemlich frustriert und dann durchaus angriffslustig beschloss er, sich das Prinzip einer Revolution zu eigen zu machen. In den Himmel zurückgekehrt, bereitete er aus luftiger Perspektive wohl überlegt sein Comeback als Revolutionsheld vor. Gut Ding will Weile haben, erkor er sich zum Motto. Was Du brauchst, ist erstmal ein Denkmal — mitten in der Stadt und und von Meisterhand gefertigt. Damit Dich jeder jederzeit sehen kann: SICHTBAR werden und bleiben, jawohl! Und wer den Mantel der Geschichte umlegt, wird in der Zukunft nicht frieren, sinnierte unser Mainzer Himmelsgänger. Eine Weile später hatte er es bereits geschafft, eine Jahrhundertfeier für sich selbst zu initiieren, so grandios, dass sogar ein Museum in seinem Namen gestiftet wurde. Und das war nur der Anfang. Mit der Rasanz der Druckmaschinen verbreitete sich die Kunde von der Gutenberg Galaxis. Die klügsten Köpfe beschäftigen sich mit ihm. Trotz Schnell- und Rotationspressen wurde seine Presse, das ORIGINAL, nachgebaut und mit riesigem Erfolg auf Weltreise geschickt, Viele Schriften wurden ihm gewidmet, wohlfeil gedruckt, herrlich illustriert.

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Seine Bibelausgaben wurden nicht nur in den feinsten Museen dieser Welt gehütet, sondern auch in Faksimile-Drucken herausgegeben. Die Mainzer Universität widmete ihm einen  Lehrstuhl, eine Gesellschaft seines Namens gründete sich, inklusive eines stattliches Jahrbuchs sowie einem internationalen Preis. Tja, dachte der Mainzer, wenn man sich nicht selbst um alles kümmert und geschickt die Fäden zu Netzen spinnt… Er lehnte sich entspannt zurück und beschloss da sein Erbe dauerhaft gesichert, das Leben von nun an himmlisch zu genießen. Munter wanderte er fürderhin im Paradiesgärtelein umher, stets gelassen und dem Neuen aufgeschlossen. Gerade auch, als er einen gänzlich in sich versunkenen Mann sah, der beinahe missmutig auf die Erde hinunterblickte.

„Was liegt an, Gevatter?“, sagte er. Und dachte bei sich: Hm, den kenn ich noch, als es ihm besser ging. „Ist Ihnen die Reise nach London nicht bekommen? Stimmt was mit der Chemie nicht?“ „Doch, doch, danke der Nachfrage. Das ist ja aber etliche Generationen her. Seitdem ist viel passiert – und, ich sag’s Ihnen ganz offen, ach, die Welt, sie hat mich vergessen!“ – „Wer sind Sie denn, dass sich an Sie erinnern sollte?“ – „Nun, ich bin der, der Gutenbergs Erbe antreten wollte!“ – „Na, davon sollte ich wissen“ (kichert).

Der andere drehte sich erschrocken um und schaute unseren Mainzer an. „Oh, Meister Gensfleisch. Lachen Sie nicht über mich!“ –„Gemach, gemach werter Freund, ich lache nicht über Sie, sondern darüber, dass ich vor längstens 200 Jahren vor der gleichen traurigen Erkenntnis, ich sei vergessen, stand“ Und G erläuterte seinem unglücklichen Kollegen, wie alles sich zum Guten wenden ließ. „Ach, bei Ihnen mag das geklappt haben, aber bei mir?“ – „Nicht mutlos werden, es braucht einfach nur Initiative und pfiffige, unkonventionelle Ideen. Aber erzählen Sie mir einmal, was Sie da überhaupt ausgetüftelt haben, lieber Kollege.“

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Und der (in sich) Versunkene erzählte, wie er vom Schreiber (beim Bestreben, ein Verfahren zur Schriftgewinnung), zum Drucker und Erfinder des Flachdrucks mit Spezialtinte wurde. Wie die berühmtesten Künstler seine neue Technik des Druckens vom Stein aufgriffen, ebenso wie die Tüftler und Drucker. Wie andere sogar noch zu seinen Lebzeiten den lithografischen Dreifarbendruck zelebrierten.

„Das Geheimnis lautet also: Durch emsiges Nachdenken vorgezeichnete Wege einzuschlagen? Ja warum machen Sie, lieber Kollege, das nicht selbst, um Ihr Erbe zu sichern?“ – „Ach alleine schafft das ja heute keiner mehr; das war zu Ihrer Zeit noch ganz etwas anderes, werter Gensfleisch. Die Erinnerung an Sie ist lebhaft wie nie zuvor. Sie werden, wie ich gerade vernehme, als Mann des Jahrtausends im Internet und auf der Opernbühne gefeiert. Hier steht es, in diesem Druckwerk schwarz auf weiß und bunt bebildert.“ – „Alle Achtung, das wusste ich noch gar nicht. Aber hoppla, wie ist das gedruckt, so wohlfeil, mit Farben und Glanz?“ – „Na ja, man hat eben das chemische Verfahren weiter ausgefeilt…“ — „Das ist doch eindeutig, lieber Kollege: Ohne ihre Werke gäbe es die Erinnerung an mich überhaupt nicht in diesem Maße. Damit sind wir quitt!“ – „Jetzt übertreiben Sie’s doch ein wenig…“.

„Nein, nein gar nicht, denn, Donnerwetter, wenn ich es recht sehe, haben Sie, lieber Aloysius, etwas geschafft, was mir verwehrt wurde. Sie haben dem Drucken sowohl die Wege in die Künstlerateliers geebnet als auch die modernen Produktionsverfahren vorweggenommen, die das Drucken aus dem Handwerklichen heraus zur Königsdisziplin der Kommunikation erhoben haben. Hut ab vor diesem Lebenswerk und Geschenk an die Menschheit!“ – „Was nutzt es, wenn keiner mehr davon Kenntnis hat?“ – „Nun bitte nicht Trübsal blasen. Substanz ist reichlich vorhanden, man muss nur einen neuen Nutzen stiften.“

Apropos Stift(ung)en — das eröffnet ein neues Kapitel!

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Hinweis: Die Fotos entstammen einer besonderen Publikation von “Gutenbergs Traum”. Gefertigt unter der Leitung von Dr. Otto Martin per Beisatz und Handpressendruck in einer Auflage von 100 Exemplaren. Dies erfolgte im Rahmen des Projekts “Drucktherapie für Bildschirmgeschädigte” im Team mit Studierenden des Instituts für Buchwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität zu Mainz, im Sommersemester 2002.

 

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